„Das Urteil kann nur auf Freispruch lauten“
Donnerstag, 16. Februar 2012 | Autor: hfe | Diese Seite als PDF herunterladen
Zu den Verfahren gegen den spanischen Untersuchungsrichter Baltasar Garzón
von Rechtsanwalt Reiner Thiele
„Das Urteil kann nur auf Freispruch lauten“, so formulierte der Staatsanwalt beim Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) in Madrid Luis Navajas seinen Antrag im Schlussvortrag des Verfahrens gegen den Untersuchungsrichter der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof, der 1977 geschaffen wurde, um den ETA-Terror besser begegnen zu können) Baltasar Garzón. Es ist eines der drei Verfahren, die gegen Baltasar Garzon vor dem Tribunal Supremo eröffnet wurden und es ist das Verfahren, welches die größte politische und mediale Aufmerksamkeit erlangt hat.
Im Dezember 2006 war im Dezernat des Untersuchungsrichters Baltasar Garzón die erste Anzeige wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Spanischen Bürgerkrieges eingereicht worden. In der Folgezeit erhielt Baltasar Garzón zahlreiche weitere Anzeigen, insbesondere durch Organisationen und Vereinigungen des sogenannten “ley de la memoria histórica“ (Gesetz des historischen Andenkens). Sie handelten von Ermordungen, gewaltsamer Verschleppung, Entführungen von Kindern, Folter, Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Garzón musste bald feststellen, dass es keine Register über die Verschwundenen und Getöteten auf nationaler Ebene gab und forderte die Anzeigenden auf, komplette Listen der Verschwundenen und Getöteten zu erstellen. Bis 2008 erhielt er Unterlagen über 114.000 Fälle, die unmittelbar nicht mit dem Bürgerkrieg verknüpft waren. Am 16.10.2008 erklärte sich Baltasar Garzón für die Untersuchung der Verbrechen zuständig. In seinem Beschluss führte Garzón aus, dass die straffrei gebliebene Verfolgung politischer Gegner unter der Franco-Diktatur juristisch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzuordnen seien. Allerdings verwies Garzón nach Aufnahme der Ermittlungen die Verfahren an die Provinzgerichte.
Zweifel, ob der Staatsanwalt beim Tribunal Supremo Navajas und die Verteidigung mit ihren Anträgen auf Freispruch durchdringen, dürften angebracht sein. Garzón wurde schon in einem weiteren gegen ihn angestrengten Verfahren wegen Rechtsbeugung und angeblicher Einschränkung des Rechts auf Verteidigung zu einer Geldstrafe sowie zu 11 Jahren Berufsverbot verurteilt. Ihm wurde in diesem Verfahren vorgeworfen, Gespräche zwischen korruptionsverdächtigen Häftlingen und ihren Anwälten abgehört zu haben. Gegenstand der Ermittlungen Garzóns war einer der größten Korruptionsskandale der spanischen Demokratie. Mit in den Korruptionsskandal verwickelt sind führende Politiker der rechtskonservativen Regierungspartei Partido Popular (PP). Eine Tatsache, die darauf hinweisen könnte, dass die Verurteilung von Garzón politisch durchaus gewollt war, zumal Garzón nicht nur auf Aufforderung der Staatsanwaltschaft hin die Abhörmaßnahme anordnete, sondern in seiner Verteidigung auch vorgetragen hat, dass die Abhörmaßnahme auch angeordnet wurde, weil der konkrete Verdacht der Geldwäsche gegen einige involvierte Anwälte bestand. Garzón hat insoweit auch betont, dass er aufgrund dieses Verdachts nur die Abhörung der involvierten Anwälte angeordnet habe und nicht die Abhörung der Gespräche zwischen Häftlingen und ihren Rechtsanwälten.
Der spanische Professor für Verfassungsrecht an der freien Universität Madrid Antonio Rovira schrieb auf die Person Enrique Tierno Galván (1918-1986) – einen brillanten Professor für Politische Rechtswissenschaft und ehemaliger Bürgermeister Madrids – bezogen, dass man in Spanien dafür bezahlen müsse, wenn man sich das Recht herausnehme mit kreativer Vorstellungskraft unbequeme Entscheidungen zu treffen (Enrique Tierno Galván wurde während der Francozeit verfolgt und inhaftiert, noch 1965 verlor er seine Professur an der Universität Salamanca). Die Wahrhaftigkeit dieser Aussage erweist sich in der Person und dem Schicksal von Baltasar Garzón. Dieser hatte sich in der Vergangenheit wie kein anderer vor ihm das Recht herausgenommen, Ermittlungsverfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu führen. Garzón wurde international spätestens bekannt, als er 1998 den chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet in London festnehmen ließ. Und es muss noch mehr befürchtet werden. Schon wird aus dem Regierungslager heraus in der Person ihrer Vizepräsidentin Soroya Sáenz de Santamaria der Staatsanwaltschaft nahe gelegt, Ermittlungsverfahren gegen diejenigen aufzunehmen, die sich kritisch zum Urteil des Tribunal Supremo geäußert haben. Gleichzeitig wird beklagt, dass die Kritiker dieses Urteils ein “Zerrbild“ geschaffen hätten. „Wenn die politischen Repräsentanten die Institutionen (gemeint ist hier das Tribunal Supremo) in Frage stellen, stellen sie die Demokratie in Frage“, so Soroya Sáenz de Santa Maria.
Die bekannte spanische Schriftstellerin Almudena Grandes hat bereits vor Abschluss des Gerichtsverfahrens gegen Baltasar Garzón in der spanischen Tageszeitung “El País“ zum Verfahren gegen Baltasar Garzón das Folgende ausgeführt: „Ich werde nicht in die Ungeschicklichkeit verfallen und die PP für die Vorgehensweise des Tribunal Supremo verantwortlich machen. Das ist nicht richtig und es wäre deshalb nicht gerecht. Aber ich glaube, dass die Tatsache, dass die spanische Rechte die einzige in Europa ist, die sich niemals ausdrücklich vom Faschismus losgesagt hat, da sie niemals den Staatsstreich vom 18.07.1936 verurteilt hat, entscheidend dafür ist, dass ein solches Verfahren durchgeführt wird“. Hohe Funktionsträger der rechtskonservativen Volkspartei (PP) haben das Urteil mit offener Zustimmung begrüßt.
Das gegen Baltasar Garzón eingeleitete Verfahren hat über Spanien hinaus Aufmerksamkeit erregt und zu massiven Protesten geführt. Dies nicht nur aufgrund der internationalen Bekanntheit Baltasar Garzóns. Human Rights Watch äußerte als einer der internationalen Beobachter des Prozesses den Verdacht, dass es um eine Vergeltung dafür gehe, dass Baltasar Garzón umstrittene Fälle untersuchte. Die schwedischen Beobachter der Stiftung Edelstam (Edelstam war der Name des ehemaligen schwedischen Botschafters, der zahlreiche Juden vor dem Nazis rettete) stellten fest, dass die im Verfahren gegen Baltasar Garzón gehörten Zeugen von schrecklichen Ereignissen während des Bürgerkriegs berichtet und niemals Gerechtigkeit empfangen hätten, was bedeute, dass Spanien gegen Internationales Recht verstoße und verschiedene UN-Resolutionen nicht erfülle. Beide Beobachter haben die Befürchtung geäußert, dass das Urteil gegen Baltasar Garzón andere Richter einschüchtern und davon abhalten könnte, eigene Ermittlungen aufzunehmen. In seiner ersten Stellungnahme zum Verfahren gegen Baltasar Garzón hat Rights International Spain es als „widersinnig“ und „bedauerlich“ angesehen, dass Opfer der während des spanischen Bürgerkrieges und der Franco-Diktatur begangenen Verbrechen ausgerechnet zum ersten Mal über diese Verbrechen vor einem Gericht berichten können, welches ein Verfahren gegen den Richter eröffnet hat, der versucht habe, diese Verbrechen aufzuklären.
Am Mittwoch, den 08.02.2012 wurden die Abschlussvorträge im Verfahren gegen Baltasar Garzón aufgrund seiner Ermittlungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Franco-Regimes gehalten. Plädoyers der Popular-Anklage der rechtsgerichteten Pseudo-Gewerkschaft “Manos Limpias“ (saubere Hände), der Verteidigung von Baltasar Garzón und des Staatsanwaltes am Tribunal Supremo Luis Navajas. Gegen Baltasar Garzón hatten die Manos Limpias Popularanklage erhoben (ein Verfahren der im deutschen Strafrecht vorgesehenen Privatklage ähnlich).
Das gegen Baltasar Garzón eingeleitete Verfahren wegen Verdachts der Rechtsbeugung ist äußerst streitig und erweckt Zweifel, ob es wirklich als gesetzeskonform angesehen werden kann. Die von der faschistischen Falange Española de las Jons und den Manos Limpias erhobenen Popularanklagen entsprachen zunächst nicht den gesetzlichen Anforderungen, was die Nichtzulassung der Popular-Anklagen zur Folge gehabt hätte. Der befasste Untersuchungsrichter der Audiencia Nacional Varela wies jedoch die Popularankläger auf die schweren Mängel ihrer Popular-Anklagen hin und setzte ihnen eine erneute Frist zur Korrektur. Allein dies stellt bereits ein zweifelhaftes Verfahren dar. Damit aber nicht genug. Varela wies die Popularkläger auch gleichzeitig noch an, wie sie die Mängel der Popular-Anklagen beseitigen könnten. Manos Limpias korrigierte ihre Popularanklage und kopierte dabei Ausführungen des Untersuchungsrichters Varela – offenbar inklusive der darin enthaltenen Fehler. Nach Verständnis der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft ist das ein gravierender Verstoß gegen den Grundsatz der richterlichen Neutralität und des Gebotes der “Waffengleichheit“. Nach dem aus dem englischen Parteienprozess stammenden Gerechtigkeitsprinzip, müssen vor dem Gericht Ankläger und Verteidiger die gleichen Chancen haben. Sie müssen vergleichbare Äußerungs-, Informations- und Antragsrechte haben. Die Verteidigung darf gegenüber dem Ankläger nicht in eine nachteilige Position versetzt werden. Insoweit ist zumindest zweifelhaft, ob durch dieses Verfahren nicht gegen das Prinzip des fairen Verfahrens und damit gegen Artikel 6 III lit. d MRK verstoßen wurde.
Der mit dem Fall befasste Staatsanwalt des Tribunal Supremo Navajas bezeichnete die Vorgehensweise des Untersuchungsrichters Varela als höchst „ungewöhnlich“ („insólito) und für nicht aufrechtzuerhalten („insostenible“). Die Vorgehensweise von Varela führe zur „absoluten Nichtigkeit“ des Verfahrens. Navajas und der Verteidiger Baltasar Garzóns vertraten zudem die Ansicht, dass der Vorwurf der Rechtsbeugung nicht allein aufgrund einer Popular-Anklage aufrechtzuerhalten sei. Notwendig für eine entsprechende Popular-Anklage sei, dass der Anklagende durch das begangene Delikt (Rechtsbeugung) geschädigt sei. Soweit eine etwaige Rechtsbeugung öffentliche Interessen verletze, verwies Navajas darauf, dass die Verfassung allein der Staatsanwaltschaft das Recht gewähre, öffentliche Interessen zu verteidigen. Zur Verteidigung der öffentlichen Interessen bedürfe die Staatsanwaltschaft in keiner Weise der Unterstützung durch Manos Limpias. Navajas lehnte die Übernahme der Anklagen durch die Staatsanwaltschaft der Audiencia Nacional und die Eröffnung des Hauptverfahrens folgerichtig auch ab. In seinem Plädoyer fand er eindeutige Worte für die Popularanklage der Manos Limpias: „Es wäre geradezu widersinnig, dass in Argentinien eine Richterin die Verbrechen der Franco-Diktatur untersuche – was tatsächlich der Fall ist – und wir in Spanien verfolgen den Richter, der es gewagt hat, den erhobenen Anzeigen nachzugehen und Tatsachen von außerordentlicher Schwere prozessual zu verfolgen“. Zugleich zweifelte Navajas angesichts der von Baltasar Garzón in der Vergangenheit geführten Verfahren wegen Terrorismus und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit an, dass das Verfahren gegen einen anderen Richter als Baltasar Garzón geführt worden wäre.
Bereits in einem früheren Verfahrensstadium hatten die Verteidigung und der Staatsanwalt Navajas vor dem Tribunal Supremo aufgrund der schwerwiegenden Fehler des Untersuchungsrichters Varela beantragt, das Hauptverfahren gegen Baltasar Garzón vor dem Tribunal Supremo nicht zu eröffnen. Mit 4 zu 3 Stimmen eröffnete das Tribunal Supremo gleichwohl das Hauptverfahren gegen Baltasar Garzón mit der zumindest zweifelhaften Begründung, dass die offensichtlichen Fehler des Untersuchungsrichters Varela materiellrechtlich sich nicht dergestalt niederschlagen könnten, dass die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen sei.
Die Verteidigung Baltasar Garzóns hatte die Vernehmung von Zeitzeugen im Hauptverfahren beantragt. Die Anhörung ergab ein erschütterndes Bild von den begangenen Grausamkeiten während der Franco-Diktatur. Die letzten drei Zeugen der Verteidigung vor dem Tribunal Supremo forderten nochmals ein Vorgehen der Justiz gegen die Verbrechen des Franco-Regimes. Der Zeuge Antonio Ontañon Toca, Präsident der Vereinigung der Helden der Republik in Kantabrien, berichtete über das Vorgehen der Falangisten: „Die Losung war, dass von den „Roten“ keine Spur verbleiben sollte und dass man sie verschwinden lassen müsse. Die Ermordeten wurden nach ihrer Exekution zu „desaparecidos“ (Verschwundenen). Nur die Anzahl der Getöteten wurde jeden Monat erfasst. Die Ermordeten wurden in Gemeinschaftsgräber geworfen, mit frischem Kalk überschüttet und verscharrt. Nach der physischen Liquidation erfolgte das Verschwindenlassen der Opfer. Wirtschaftliche oder andere staatliche Hilfe haben die Opfer selbst bzw. deren Angehörige niemals erhalten. Dies ergab die Befragung der Zeugen durch die Verteidigung. Anfragen an staatliche Stellen mit der Bitte um Unterstützung bei der Ermittlung der „fosas comunes“ (Massengräber) wurden oftmals nicht einmal beantwortet. Die Verweigerung staatlicher Hilfe auf der einen Seite und die Aufnahme der Ermittlungen 2008 durch den Ermittlungsrichter Baltasar Garzón erklärt, mit welcher Hoffnung und Illusion die Opfer, die Angehörigen und die befassten Organisationen der „Memoria Historica“ die Aufnahme der Ermittlungen begleitet haben.
Auf der anderen Seite der Schlussvortrag der Manos Limpias, der deutlich machte, was die rechtsradikale Pseudogewerkschaft von den Ermittlungen des Richters Baltasar Garzón hält. Der Vertreter der Manos Limpias forderte in seinem Plädoyer für Baltasar Garzón die Höchststrafe von 20 Jahren Berufsverbot wegen Rechtsbeugung. Die Popular-Anklage wirft Baltasar Garzón vor, dass er, 10 Jahre bevor er sich zuständig für die Ermittlungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erklärt habe, Ermittlungen über angebliche Verbrechen an Falangisten (die sogenannten Erschießungen von Paracuelos) abgelehnt habe. Diese Vorgänge seien von dem mit Baltasar Garzón aufgenommenen Ermittlungen wegen Verbrechen der Franco-Diktatur vergleichbar. Baltasar Garzón handele nach seinem eigenen politischen Gutdünken und irrational. Wegen Opfern in einem Massengrab wende er das nationale Recht an und erkläre sich für zuständig und in einem vergleichbaren Fall habe er sich für unzuständig erklärt, nur weil die Opfer Falangisten gewesen seinen. Schließlich wird Baltasar Garzón vorgeworfen, seine Argumente seien „literarisch“ und seien in ihrer Allgemeinheit so gehalten, dass damit selbst die Aufnahme von Ermittlungen wegen Erschießungen am 02./03.05.1808 (Erschießung spanischer Patrioten durch die französischen Truppen) begründet werden könnten. Die Popular-Anklage vergreift sich schließlich in der Behauptung, dass alle Tatsachen bezüglich des Bürgerkrieges bereits bekannt und die von den Zeugen aufgestellten Behauptungen und angeführten Bücher zum Beweis der begangenen Verbrechen „wenig wissenschaftlich“ seien. Rechtlich sei es nicht möglich, das spanische Strafrecht auf abgeschlossene Ereignisse des spanischen Bürgerkrieges und der Franco-Diktatur anzuwenden. Eine rückwirkende Anwendung des spanischen Strafrechts verstoße gegen internationales Recht. Baltasar Garzón sei dies bekannt und bewusst gewesen, als er die Ermittlungen aufgenommen habe. Damit habe er auch gegen das spanische Amnestie-Gesetz (Amnestie-Gesetz von 1977) verstoßen. Das spanische Amnestie-Gesetz stelle ein Gesetz dar, welches die Ermittlungen von Baltasar Garzón ausschließe. Durch das Gesetz solle ein „punto final“ (Schlussstrich) unter die Ereignisse während des spanischen Bürgerkrieges und des Franco-Regimes gezogen werden.
Der juristische Gehalt dieser Ausführungen ist zumindest zweifelhaft. Baltasar Garzón hat die von ihm untersuchten Verbrechen als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ eingeordnet. Damit dürfte nach Ansicht der Verteidigung die Anwendung des Amnestie-Gesetzes entfallen: „Ein Amnestie-Gesetz, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit obsolet machen will, sei nichtig.“ Die Verteidigung weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Amnestie-Gesetz in einer spezifischen historischen Situation in Kraft trat. Die Demokratiebewegung hatte in den Jahren 1976 und 1977 die Forderungen nach Amnestie und Freiheit erhoben, insbesondere um die Freilassung politischer Gefangener des Franco-Regimes zu ermöglichen. Gesetzgeberischer Grund für den Erlass des Gesetzes war jedoch nicht, eine Straffreiheit für Verantwortliche des Franco-Regimes herzustellen. Zwar wurden mit dem Gesetz „politische Straftaten“ vor 1977 für nichtig erklärt, das Gesetz sieht jedoch keine Regelung vor, wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu behandeln sind.
Die Argumentation der Manos Limpias mit dem Rechtsgrundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege praevia (Kein Verbrechen, keine Strafe ohne vorheriges Gesetz), muss nicht überraschen. Bereits in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen argumentierte die Verteidigung damit, dass die Angeklagten zum Teil für Verbrechen angeklagt wurden, die zum Zeitpunkt der Tat durch ein multilaterales Abkommen zwar verboten waren, aber für die kein Strafmaß festgelegt worden war (z.B. „Führen eines Angriffkrieges, Verbrechen gegen den Frieden“). Die Berufung auf den vorgenannten Rechtssatz wurde jedoch vom Militärgerichtshof unter Hinweis auf die Haager Landkriegsordnung zurückgewiesen. Eine Verletzung des Rückwirkungsverbotes wird heute von vielen Völkerstrafrechtlern verneint, da dieser Rechtsgrundsatz dem Schutz und der Rechtssicherheit des einzelnen Bürgers diene und eben nicht die Bestrafung staatlicher Machthaber wegen von ihnen begangener Völkerrechtsverbrechen verhindern solle.
Im Übrigen dürfte Spanien auch im Hinblick darauf, dass es das römische Statut über den internationalen Strafgerichtshof (IStGH) vom 01.07.2002 unterzeichnet und ratifiziert hat, die nationalrechtliche und völkerrechtliche Vorgabe übernommen haben, mit dem Völkermord auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gegen Personen zu verfolgen. Das Statut von Rom beinhaltet das Prinzip der Komplementarität. Danach ist das nationale Völkerstrafrecht so auszugestalten, dass möglichst alle in die Zuständigkeit des IStGH fallenden Delikte durch das nationale Strafrecht erfasst werden, um durchgängig eine vorrangige Aburteilung durch nationale Gerichte zu ermöglichen. Zu Recht weist die Verteidigung Baltasar Garzóns insoweit darauf hin, dass Baltasar Garzón seine Entscheidung über die Aufnahme von Ermittlungen auf internationale Rechtsprinzipien gestützt habe. Erstaunlicherweise hat der Tribunal Supremo Beweisanträge der Verteidigung auf Beiziehung von Dokumenten über die Geltung und Anwendung internationaler Rechtsbestimmungen sowie auf Vernahme unter anderen der früheren Staatsanwältin am IStGH Carla Del Ponte abgelehnt. Und das, obwohl die Vernehmung sachverständiger Zeugen sowie die Beiziehung aussagekräftiger Dokumente über die Bestimmung des internationalen Rechts für die Klärung der Frage erheblich gewesen wären, ob Baltasar Garzón sich bei seinen Entscheidungen auf Bestimmungen des Internationalen Rechts berufen konnte. Die Entscheidung, ob Baltasar Garzón Rechtsbeugung begangen hat, obliegt nach Ansicht des Tribunal Supremo der ausschließlichen Verantwortung des befassten Gerichts. Auch dies dürfte im Hinblick auf die Grundsätze des Artikels 6 Abs. 3 lit. d MRK eine zumindest zweifelhafte Entscheidung darstellen.
Die Verteidigung Baltasar Garzóns hat in ihrem Plädoyer betont, dass das Urteil nicht darauf gestützt werden dürfe, ob Baltasar Garzón mit seinen Entscheidungen Recht oder Unrecht habe, vielmehr sei zu berücksichtigen, dass die von ihm getroffenen Entscheidungen vertretbar und begründet seien. Die richterliche Freiheit, nach besten Wissen und Gewissen zu entscheiden, sei zu respektieren und ein zentrales Element der richterlichen Unabhängigkeit. Nach Ansicht der Verteidigung berühren sämtliche Anzeigen wegen Verbrechen während des spanischen Bürgerkrieges und der Franco-Diktatur den Kern der Menschenrechte. Es handele sich um schwerwiegende Delikte und die Opfer seien bis heute hierfür nicht entschädigt worden.
„Das Urteil kann nur auf Freispruch lauten“, so hatte der Staatsanwalt Navajas seinen Schlussantrag formuliert. Nach Ansicht Navajas hat Baltasar Garzón nicht das Recht gebeugt. Seine Beschlüsse seien verteidigenswert, wenn auch durch die dafür vorgesehenen Rechtsmittel anfechtbar. Keinesfalls dürften die von Baltasar Garzón getroffenen Entscheidungen jedoch zur Kriminalisierung des Richters führen. Die Entscheidungen ließen sich mit guten Argumenten juristisch vertreten und stellten keine „kriminellen Akte“ dar. Baltasar Garzón habe sich unzweifelbar große Verdienste im Kampf gegen Terrorismus und für die Menschenrechte erworben. Für ihn habe ganz offensichtlich der Opferschutz im Vordergrund seiner Ermittlungen gestanden. Schließlich hätten die Opfer vorher keine Möglichkeit erhalten, die Verbrechen des Franco-Regimes anzuzeigen und prozessual zu verfolgen. Nach Staatsanwalt Navajas stellt die Popular-Anklage der Manos Limpias einen „intolerablen Anschlag auf die richterliche Unabhängigkeit dar und mündeten in dem Versuch, den Untersuchungsrichter Baltasar Garzón zu kriminalisieren“.
Die juristische Verfolgung von Baltasar Garzón ist im engen Zusammenhang mit dem Interesse rechtskonservativer Kreise zu sehen, die Untersuchung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Zeit des spanischen Bürgerkrieges und der Franco-Diktatur zu unterbinden. Sie ist jedoch auch im Zusammenhang mit der Aufdeckung eines der größten Korruptionsskandale der spanischen Demokratie zu sehen. Persönlich involviert in diesen Skandal sind hohe Entscheidungsträger und Funktionäre der rechtskonservativen und jetzigen Regierungspartei PP. Mit der Entfernung von Baltasar Garzón aus dem Richterdienst ist offensichtlich eine zweifache Hoffnung dieser interessierten Kreise verknüpft: den entschiedensten Verfolger politischer und wirtschaftlicher Verbrechen im Justizapparat mundtot zu machen und gleichzeitig seinen (Richter-) Kollegen vor Augen zu führen, was mit ihnen geschieht, sollten Sie den Mut fassen, die Verbrechen des Franco-Regimes eingehend zu prüfen oder auf den Gedanken zu verfallen, sich in die wirtschaftlichen und politischen Angelegenheiten rechtskonservativer Kreise einzumischen.
Die Kriegsverbrecherprozesse von Nürnberg und die Arbeit eines Fritz Bauer waren und sind noch immer unerlässlich für die Aufarbeitung der Verbrechen des Faschismus in Deutschland. In Spanien hat es den Anschein, dass die Erben und geistigen Ziehkinder der Franco-Diktatur einen mutigen Untersuchungsrichter anklagen und kriminalisieren können. Baltasar Garzón symbolisiert in seiner Person in gewisser Weise die Tragödie Spaniens. Hier herrscht im rechten Lager und bis in weite Teile der konservativen Kreise die Ansicht vor, dass die während des Bürgerkrieges und der Franco-Diktatur begangenen Verbrechen nicht untersucht werden sollten. Aber gleichzeitig symbolisiert Baltasar Garzón den Kampf für die Verteidigung der Opfer vor dem Vergessen. Im Schlusswort des Angeklagten erklärte Baltasar Garzón: „Ich habe die Entscheidung getroffen, die ich für gesetzeskonform hielt, um die Verbrechen des Franco-Regimes zu verfolgen, die Opfer zu verteidigen, damit sie nicht in Vergessenheit geraten“. Baltasar Garzón beendete sein letztes Wort mit dem Kant-Zitat „Das Gewissen ist das Gericht der Menschen“. Binnen drei Wochen wird der Tribunal Supremo sein Urteil verkünden.