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Arbeitsrecht im Deutschen Kaiserreich 1871-1918

Freitag, 14. Oktober 2011 | Autor: hfe | Diese Seite als PDF herunterladen

Ein knapper, einen historischen Überblick über die Anfänge des Arbeitsrechts in Deutschland bietender Beitrag mit Bezügen zu anderen auf dieser Seite veröffentlichten Artikeln zum sozialdemokratischen Arbeitsrechts-Pionier Arthur Stadthagen

von Holger Czitrich-Stahl

Von „Arbeitsrecht“ im eigentlichen Sinne eines eigenständigen Rechtsbereiches kann man im Deutschen Kaiserreich kaum sprechen. Einerseits existierte bis zum 31.12.1899 keine Rechtseinheit im Deutschen Reich, andererseits dominierte die Auffassung, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Privatpersonen vertraglich gegenüber stünden.

Rechtseinheit: Bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) am 1.1.1900 galten seit Gründung des Deutschen Kaiserreiches am 18.1.1871 im Grundsatz drei Rechtsquellen, nämlich das Preußische Landrecht von 1794, der Code Civil aus den Rheinbundstaaten von 1803 und das Bürgerliche Gesetzbuch des Königreiches Sachsen von 1865.[1] Dieser Zustand mangelnder Rechtseinheit förderte das Nebeneinanderbestehen partikularer landesherrschaftlicher Rechte, gerade in der Hinsicht auf die Arbeitsverhältnisse in der Landwirtschaft. Durch das BGB trat eine eher langsame Vereinheitlichung des Rechts auch auf den Gebieten von Gewerbe und Arbeit ein, da sich gerade die agrarisch geprägten Bundesstaaten wie Preußen oder die beiden mecklenburgischen Länder auf ihre föderalen Rechte beriefen und Ausnahmegesetze für die Landbevölkerung beibehielten. Diese banden die Landarbeiter auch nach der Aufhebung der Leibeigenschaft (Preußen 1807) an ihren Grundherrn.

Privatautonomie: Die klassische liberale Wirtschaftstheorie mit ihren Kernforderungen von Gewerbefreiheit und Konkurrenz sah in den sich gegenüberstehenden Akteuren „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ freie und ebenbürtige Wirtschaftssubjekte, die in ihren vertraglich aufeinander bezogenen Handlungen (Lohn, Arbeitsbedingungen) völlige Handlungsfreiheit besäßen. Da diese Ebenbürtigkeit in der sozialen Realität nicht bestand, schlossen sich die Arbeiter immer wieder zusammen, zunächst als Arbeiterverbrüderungen, später zu Gewerksgenossenschaften und Gewerkschaften. Das „Vereinsgesetz“ des Deutschen Bundes von 1854 hingegen unterband alle überörtlichen Organisationsbestrebungen und enthielt der Arbeitnehmerschaft damit wichtige Koalitionsrechte vor. Nach Erlass des „Sozialistengesetzes“ am 21. Oktober 1878 waren sämtliche gewerkschaftlichen Verbände für zwölf Jahre verboten, allein örtliche Berufsfachverbände waren zugelassen.

Diese Unübersichtlichkeit der geltenden Rechtsvorschriften führte zu einer verbreiteten Unkenntnis nicht nur in der Arbeiterschaft über Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag und der Sozialgesetzgebung. Der Reichstagsabgeordnete der SPD, der Jurist Arthur Stadthagen (1857-1917) verfasste daher mit seinem Rechtshandbuch „Das Arbeiterrecht“ eine übersichtliche Zusammenstellung der für Arbeiter und Unternehmer verpflichtenden Rechtsvorschriften, die in vier Auflagen bis 1904 erschien und ein rechts- und  sozialpolitischer „Bestseller“ wurde.“[2]

Sozialpolitik im Kaiserreich: Das bestehende Ungleichgewicht zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sorgte schnell für massive Probleme. Besonders die Kinderarbeit wirkte lohnsenkend auf alle Arbeitskräfte in den Fabriken und vermehrte das soziale und familiäre Elend. Kinderschutzgesetze galten in Preußen schon seit 1853, in Sachsen seit 1861.

Diese Verhältnisse und die wachsende Zustimmung in der Arbeiterschaft für die Sozialdemokratie drängten die Reichsregierungen seit Bismarck  zu sozialpolitischen Maßnahmen. Im Jahr 1903 wurde im gesamten Reich der Kinderschutz auf das Verbot der Beschäftigung von Kindern unter 12 Jahren ausgedehnt, die Novelle der „Gewerbeordnung“ aus dem Dezember 1908 setzte die Beschäftigungsgrenze auf 13 Lebensjahre herauf. Außerdem galt nun das Verbot der Nachtarbeit.[3]

Während der Geltungsdauer des „Sozialistengesetzes“ von 1878-1890 wurden durch  Reichskanzler Otto von Bismarck drei sozialpolitische Gesetze eingebracht und vom Reichstag beschlossen, die erste Besserstellungen für die Arbeiterschaft bewirkten: Eine gesetzliche Krankenversicherung wurde 1883, eine Unfallversicherung 1884 und eine Invaliditäts- und Altersversicherung 1889 in Kraft gesetzt. Sie wurden im Laufe der folgenden Jahrzehnte weiter entwickelt.

Die „Gewerbeordnung“ wurde mehrmals novelliert, zuletzt 1908. In sie fanden nach und nach Maßnahmen zur Verbesserung des Arbeitsschutzes Eingang, so neben der Einschränkung der Kinderarbeit auch ein Verbot der Nachtarbeit für Frauen, eine Arbeitszeitregelung von höchstens zehn Stunden für Jugendliche und Frauen an Werktagen, für Frauen an Wochenend- und Feiertagen von maximal acht Stunden, ein Mutterschutz von acht Wochen.[4] Für Männer galt in der Regel ein Zehn- bis Elfstunden-Arbeitstag, der bis 1914 auf neuneinhalb Stunden sank.[5]

Streitfragen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern über Löhne, Arbeitsbedingungen usw. klärten seit 1904 paritätisch besetzte Gewerbegerichte, die Vorläufer der heutigen Arbeitsgerichte. In den Betrieben selbst wachten seit 1909 Arbeiterausschüsse über die Arbeitsordnung und den Arbeitsschutz. Sie waren sowohl die Vorläufer der Betriebsräte als auch der Berufgenossenschaften.

Dennoch durften die Gewerkschaften bis 1918 nur betrieblich Lohnforderungen geltend machen. Streiks waren verboten, Streikführern drohten Geld- oder Haftstrafen; in der Unternehmerschaft kursierten „schwarze Listen“ mit den Namen von Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, deren Anstellung vermieden werden sollte.

Landarbeiter: Hier galten nach wie vor Rechtsvorschriften, die den Landarbeiter an den Gutsherren vertraglich banden. So konnten die Landarbeiter nicht aus freien Stücken den Arbeitsplatz wechseln oder zu Fabrikarbeitern werden. Damit verhinderte z.B. die „Preußische Gesindeordnung“ auch nach 1872 die Landflucht. Für Vertragsbrüche drohten den Landarbeitern empfindliche Geldstrafen, Haft  und Entgeltabzüge. Körperstrafen waren nach wie vor nicht ausgeschlossen, weil der Dienstherr rechtlich nicht belangt werden konnte.

Weitere Entwicklung: Durch das „Vaterländische Hilfsdienstgesetz“ von 1916 wurden im ganzen Reich Industrie und Landwirtschaft auf die Kriegswirtschaft umgestellt. Verstöße unterlagen nun in kriegswichtigen Zweigen dem Militärrecht. Somit waren zwar hier nun Protestbestrebungen der Arbeiter erschwert, aber erstmals seit 1871 sämtliche landesherrschaftlichen Rechtsvorschriften außer Kraft.

Die Novemberrevolution 1918 führte den Achtstunden-Arbeitstag ein, die Weimarer Republik legalisierte nun die Gewerkschaften und Betriebsräte völlig, entwickelte die Gewerbegerichte zu Arbeitsgerichten weiter und verbriefte das Koalitionsrecht in der Reichsverfassung. Auch das „kollektive Arbeitsrecht“, also z.B. das Streikrecht wurde gewährt, allerdings unter den Schlichtungsvorbehalt gestellt.[6]

Die Herrschaft der Nationalsozialisten seit 1933 schaffte das Streikrecht ab, verbot am 2. Mai 1933 die Gewerkschaften und ersetzte sie durch die „Deutsche Arbeitsfront“, die Betriebe wurden nach dem „Führerprinzip“ umgestaltet, der Besitzer war nun „Betriebsführer“. Gleichzeitig galt seit Januar 1934 das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“.[7]


[1] Arthur Stadthagen, Das Arbeiterrecht, Berlin 1895, S. 12

[2] Ebenda, erschienen 1895, 1896, 1900 und 1904

[3] Reichs-Gesetzblatt Nr. 14/1903; Stadthagen, Die Novelle zur Gewerbeordnung vom Dezember 1908, Stuttgart 1909, S. 16f

[4] Stadthagen, Novelle, S. 11ff

[5] Deppe/Fülberth/Harrer, Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, Köln 1978(2), S. 72

[6] Ebenda, S. 146ff

[7] Kühnl, Der deutsche Faschismus in Dokumenten und Quellen, Köln 1979(4), Seite 249ff

22.10.2010


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Thema: Arbeit & Wirtschaft, Historisches

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