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Begleitgesetze zum Lissabon-Vertrag im Deutschen Bundestag

Dienstag, 25. August 2009 | Autor: hfe | Diese Seite als PDF herunterladen

Anmerkungen von Prof. Dr. Andreas Fisahn, Universität Bielefeld

Der Bundestag wurde durch das Lissabon Urteil des BVerfG vom 30. Juni 2009 verpflichtet, die Begleitgesetze zum Lissabon Vertrag zu ändern. Vorher sei eine Ratifizierung des Vertrages durch die Bundesrepublik verfassungswidrig. Eine Fast-Allparteienkoalition von SPD, Grünen, CDU und FDP hat sich auf einen Gesetzentwurf geeinigt, der noch vor den Wahlen durch das Gesetzgebungsverfahren gepeitscht werden soll. Das geschieht nicht aus innerstaatlichen Gründen, sondern um für die Volksabstimmung in Irland ein Signal zu geben. Diese Begleitgesetze zeichnen im Zusammenhang der jüngeren Gesetzgebung ein verheerendes Bild.

    1. Entmachtung des Parlaments

Der deutsche Bundestag hat in dieser Legislaturperiode ein „Trauerspiel in drei Akten“ aufgeführt. Die Überschrift könnte lauten. „Selbstentmachtung der Volksvertretung oder: souverän ist der Staat, nicht das Volk“.

Zunächst wurde ein Schattenhaushalt in einer Größenordnung von 400 Milliarden Euro bewilligt, während der normale Bundeshaushalt „nur“ 290 Miliarden umfasst. Die Verfügung über das Geld wurde ohne genaue Vorgaben der Exekutive überantwortet, genauer: der FMSA. Die werden die meisten Abgeordneten, die für das Gesetz gestimmt haben, gar nicht kennen. FMSA ist die Finanzmarktstabilisierungsanstalt, die den besser bekannten Stabilisierungsfonds verwaltet.

Im zweiten Akt des Trauerspiels fand das Drama einen vorläufigen Höhepunkt in der unsäglichen Föderalismusreform II oder im Beschluss über die Schuldenbremse. Sie wird dann relevant, wenn die Schulden aus der Finanzmarktkrise abgebaut werden müssen. Politik, das lässt sich absehen, wird endgültig zum Show-Business dekadieren. Denn noch mehr als bisher werden die in der Vergangenheit produzierten Sparzwänge bedient werden und die letzten Hirnwindungen durchdringen.

In der Tragödie gibt es dann die scheinbare Wendung zum Guten – der überforderte Held kann noch einmal Luft holen. Die Wendung kam in Gestalt des Lissabon-Urteils des BVerfG. Das Gericht hat dem Parlament überdeutlich ins Stammbuch geschrieben: „Nehmt eure Verantwortung wahr, kontrolliert und programmiert die Exekutive. Bindet die Exekutive an die demokratische Willensbildung.“ Die kurze Euphorie über den demokratischen Frühsommer ist im Spätsommer schon verflogen. Nachdem die Exekutive mit dem Finger drohte, reagierte der deutsche Bundestag auch nicht anders als das erste deutsche Parlament vor 160 Jahren: „Tschuldigung, war nicht so gemeint mit der Demokratie.“ Die Fast-Allparteienkoalition von den Grünen bis zur FDP wird ein Gesetz verabschieden, das die Bundesregierung ermächtigt, Mehrheitsentscheidungen des Parlaments zu missachten. Im „Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union“ (EuZBBG) heißt es in § 9 Abs. 4: „Das Recht der Bundesregierung, in Kenntnis der Stellungnahme des Bundestages aus wichtigen außen- oder integrationspolitischen Gründen abweichende Entscheidungen zu treffen, bleibt unberührt.“ Zusammenarbeit ist eine treffende Bezeichnung für das im Gesetz normierte Verhältnis Regierung – Parlament. Im „Verfahren der Zusammenarbeit“ im Rahmen der europäischen Gesetzgebung hat das Parlament auch das Nachsehen. Am Ende entscheidet die Exekutive.

Das BVerfG hat offenbar vergeblich versucht, das Niveau des deutschen Parlamentarismus wenigstens ins 20 Jahrhundert zu befördern. Eine Exekutive, die sich über Parlamentsbeschlüsse hinwegsetzen darf, ist nicht aus dem letzten, sondern aus dem vorletzten Jahrhundert. Die deutsche Demokratie wird der europäischen Demokratie angeglichen, das heißt nach unten nivelliert. Anstatt in das Grundgesetz eine Volksgesetzgebungsverfahren aufzunehmen, das es möglich machen würde, die Europäische Demokratie zu erweitern, indem das deutsche Volk einer europäischen Verfassung mit einer europäische Demokratie zustimmt, soll das Grundgesetz weiter so interpretiert werden, dass europäische Gesetzgebung im Wesentlichen eine Angelegenheit der Exekutive bleiben soll. In der Gesamtschau ist das eine deprimierende Bilanz für den deutschen Parlamentarismus.

    1. Demokratische Weisung durch das Parlament

Die List der Vernunft könnte dem vordemokratischen Staatsverständnis allerdings ein Schnippchen schlagen. Es lässt sich fragen, ob die Demutshaltung des Bundestages, die er mit dem Zusammenarbeitsgesetz bezeugt, seine Rechte zukünftig beschneiden kann. Ändert sich die Rechtslage eigentlich? Die Frage ist, ob die demokratischen Entscheidungsrechte des Parlaments, die im Grundgesetz mit der Ewigkeitsgarantie gesichert sind, durch ein einfaches Gesetz verkürzt werden können. Geändert hat sich die Rechtslage durch die Auslegung des Demokratieprinzips im Lissabon Urteil. Denn die Interpretation der demokratischen Verantwortung, die das BVerfG entwickelt hat, weicht von vielen bisherigen Auslegungen des Grundgesetzes ab.

Mit dem Urteil hat das BVerfG mit dem vordemokratischen Unsinn aufgeräumt, der da behauptet, die Exekutive habe aus funktionalen – oder beliebigen anderen – Gründen jenseits des Verfassungstextes einen autonomen Entscheidungsspielraum, in dem sie vom Parlament nicht programmiert werden könne. Das ist normativ zu verstehen: einen Bereich, in dem das Parlament nicht versuchen dürfe, die Exekutive zu programmieren. Nach dem Urteil muss die Exekutive in bestimmten europa- und außenpolitischen Entscheidungen ein Votum des Parlaments einholen. Das Parlament darf Weisungen erteilen oder muss durch Gesetz europapolitischen Vorhaben zustimmen. So interpretiert auch das geänderte Integrationsverantwortungsgesetz (IntVG) die in dieser Beziehung wohl unmissverständliche Entscheidung des BVerfG.

Nun stellt sich die Frage, welche Bedeutung das Lissabon-Urteil und das IntVG mit Blick auf Art. 23 Abs.3 Satz 2 GG haben, wo es heißt: „Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungsnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen„ innerhalb der EU. Es scheint, als habe man sich § 9 Abs.4 EuZBBG schenken können. In Art. 23 Abs. 3 GG ist nicht die Rede von verbindlichen Weisungen oder verpflichtenden Zustimmungsgesetzen. Wie passt das mit den Vorgaben aus dem Lissabon-Urteil zusammen? Nun das BVerfG dürfte die Vorschrift des Art. 23 Abs.3 GG gleichsam systematisch und damit verfassungskonform ausgelegt haben. Es hat den Art. 23 GG im Lichte des Demokratieprinzips gelesen. Dann muss man folgern: Art. 23 GG normiert ein verfassungsrechtlich gebotenes Minimum, nämlich dass die Stellungnahmen des Bundestages berücksichtigt werden. Aus dem Demokratieprinzip folgt allerdings, dass bei wichtigen Entscheidungen die Letztentscheidung beim Bundestag liegt. Das nähere regelt ein Gesetz, heißt es in Art. 23 Abs.3 abschließend.

Das vorliegende einfache Gesetz regelt nun, dass unterhalb der vom BVerfG als zustimmungsbedürftig erklärten Rechtsakte, sich die Bundesregierung über das Votum des Parlaments hinwegsetzen darf. Durch einfaches Gesetz kann aber nicht das Demokratieprinzip unterlaufen werden, das zur Auslegung von Art. 23 heranzuziehen ist. Die Prägorative bei der Frage, was eine wichtige Entscheidung ist, hat zunächst der Bundestag, dann das BVerfG. Dann kann der Bundestag selbstverständlich auch beschließen, dass sich die Exekutive aus Gründen der demokratischen Verantwortung entsprechend der vom Bundestag beschlossenen Weisungen zu verhalten hat. Dies kann durch eine generelle Regelung geschehen oder durch auf einzelne Bereiche bezogene Regelungen. Das zeigt das IntVG, das für einzelne – vom BVerfG vorgezeichnete – Bereiche die Zustimmung des Bundestages verlangt. Anders gesagt: Die Vorschrift in § 9 Abs.4 EuZBBG kann die verfassungsrechtliche Kompetenz des Bundestages, in einzelnen politischen Fragen, die Exekutive zu binden, ihr Weisungen zu erteilen, nicht aushebeln.

Die schlechte Nachricht ist aber: ein Bundestag der seiner Selbstentmachtung zustimmt, wird in konkreten, einzelnen Fragen nicht auf Konfrontationskurs zur Regierung gehen – auch wenn er es könnte. Der autoritäre Charakter der deutschen Demokratie ist nicht nur in einer Basta-Politik spürbar. Der Konflikt zwischen Parlament und Exekutive, wie ihn das Zusammenarbeitsgesetz lösen will, ist eben auch aus dem vorletzten Jahrhundert. Schlussfolgerung: Die Regelungen im IntVG wie im Zusammenarbeitsgesetz sind im Ansatz verfehlt. Für ein Demokratieverständnis des 21. Jahrhunderts wäre es ausreichend gewesen, die Entscheidungen der Bundesregierung im Europäischen Rat oder im Rat an die Stellungnahmen des Bundestages zu binden. Die Linke hat vorgeschlagen, Art. 23 Abs.3 S.2 GG so zu ändern. Der Satz „Die Bundesregierung ist an die Stellungnahmen des Bundestages gebunden.“ soll die geltende Fassung ersetzen. Aber dazu fehlt offensichtlich die Kraft.

    1. Europäische Demokratie und Volksgesetzgebung

„Die Konzeption des Binnenmarkts beruht auf der Überzeugung, dass es keinen Unterschied macht, aus welchem Mitgliedstaat eine Ware oder eine Dienstleistung stammt, woher ein Arbeitnehmer oder Unternehmer kommt und welcher Herkunft Investitionen sind. Doch eben dieses Kriterium der Staatsangehörigkeit soll gemäß Art. 14 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 3 EUV-Lissabon entscheidend sein, wenn die politischen Einflussmöglichkeiten der Bürger in der Europäischen Union zugemessen werden. Damit befindet sich die Europäische Union in einem Wertungswiderspruch zu der Grundlage ihres Selbstverständnisses als Bürgerunion, der nur mit dem Charakter der Europäischen Union als Verbund souveräner Staaten erklärt werden kann.“

„Die Demokratie der Europäischen Union ist zwar föderalisierten Staatsmodellen angenähert; gemessen am Grundsatz der repräsentativen Demokratie wäre sie aber erheblich überföderalisiert.“ Und es ist ein „gemessen an staatlichen Demokratieanforderungen bestehendes Defizit der europäischen Hoheitsgewalt“ zu konstatieren, weil „der Vertrag von Lissabon … nicht auf eine neue Entwicklungsstufe der Demokratie“ führt. Das sind alles Zitate aus dem – von allen Parteien gefeierten – Lissabon Urteil. Der Wertungswiderspruch bleibt selbstverständlich bestehen, wenn man die demokratische Legitimation den nationalen Parlamenten überträgt. Die Argumentation zur Rechtfertigung bleibt ein Jonglieren mit Begriffen und juristischen Definitiönchen: „Bürgerunion in einem Verbund souveräner Staaten“.

Das demokratische Defizit, meint das Gericht, kann auf zwei Wegen behoben werden. Nämlich erstens durch die geforderte stärkere parlamentarische Kontrolle des Handelns der nationalen Exekutive auf europäischer Ebene. Das ist gleichsam die nationaldemokratische Lösung, die das Gericht favorisiert. Der Kompromisscharakter der Entscheidung wird hier überdeutlich. Die andere Alternative ist eine Verfassungsgebung durch die Völker Europas. „Ohne den ausdrücklich erklärten Willen der Völker“, formuliert das BVerfG „sind die gewählten Organe nicht befugt, in ihren staatlichen Verfassungsräumen ein neues Legitimationssubjekt zu schaffen oder die vorhandenen zu delegitimieren.“ Es fordert eine Verfassungsgebung durch Volksabstimmung, eine Verfassungsgebung, die zu einer Anhebung des demokratischen Niveaus Europas auf das nationalstaatliche Niveau führen könnte.

Nun schreiben sich fast alle Parteien die europäische Demokratie auf die Fahne. Und es gibt inzwischen zumindest ein breites Spektrum innerhalb der Parteien, die auch für die Aufnahme partizipativer Elemente ins Grundgesetz sind. Die Diskussion um das Begleitgesetz wäre die Gelegenheit gewesen, in beide Richtungen einen großen Schritt nach vorn zu machen. Anstatt in aller Eile ein Gesetzgebungsverfahren durchzuziehen, um den Iren ein Signal zu geben, hätte man wirklich voran gehen können, indem ein Volksentscheid über die Vertiefung der Europäischen Demokratie, ein Volksentscheid über eine europäische Verfassung im Grundgesetz verankert wird. Das wäre ein Signal für die Europäische Demokratie gewesen und ein Signal für die deutsche Demokratie, der etwas frischer Wind durch Volksabstimmungen auf Bundesebene wohl ganz gut bekommen würde.

    1. Verfassungsklagen

Das BVerfG hat vorgeschlagen, die Klagemöglichkeiten nach Art. 93 GG um speziell auf die Ultra-vires- und die Identitätskontrolle zugeschnittenen verfassungsgerichtlichen Verfahren zu erweitern. Damit soll die „Verpflichtung deutscher Organe, kompetenzüberschreitende oder identitätsverletzende Unionsrechtsakte im Einzelfall in Deutschland unangewendet zu lassen“ vor dem Verfassungsgericht selbstständig einklagbar sein. Dieser Vorschlag erscheint ausgesprochen sinnvoll, weil offenkundig eine Regelungslücke im Rechtsschutz existiert. Die verfassungsrechtlichen Verfahren sind auf die Kontrolle innerstaatlicher Staatsgewalt zugeschnitten und nicht auf das Handeln der Staatsgewalt in einem Gebilde wie der Europäischen Union.

Die Forderung des BVerfG ist konsequent: Wenn die europäische Legitimation von Staatsgewalt hinter dem nationalstaatlichen Demokratiegebot zurück bleibt und dies nur damit gerechtfertigt wird, dass Europa ein „Verbund souveräner Staaten ist“, dem der Staatsbildungswille fehle, dann kann es bei der Rechtskontrolle kein Primat des europäischen Gerichtshofes geben. Wenn das BVerfG also in sich schlüssig darauf besteht, die Kompetenzen und Identität der Verfassung letztverbindlich zu prüfen, erscheint es sinnvoll, entsprechende Verfahrensarten in das Grundgesetz aufzunehmen. Entsprechende Vorschläge finden sich wiederum im Gesetzentwurf der Linken. Die Allparteienkoalition hat auch darauf verzichtet und beschränkt sich auf eine minimale Umsetzung des Lissabon Urteils.

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Thema: Europa, Staat Demokratie BürgerInnenrechte

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