Griechenland und Genua: Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Rechte der Arbeitnehmenden sowie Attacken auf Grundrechte
Mittwoch, 24. August 2011 | Autor: hfe | Diese Seite als PDF herunterladen
Kurzbericht über zwei europäische Kongresse (Mai und Juli 2011), organisiert von der Europäischen Vereinigung von Juristinnen & Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt EJDM.
Griechenland: fatale Folgen der Wirtschaftskrise für die Arbeitnehmenden
Im Vordergrund des Kongresses in Athen vom 21. Mai 2011 standen die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Rechte der ArbeitnehmerInnen, auf die Soziale Sicherheit, auf rechtsstaatliche Grundsätze und auf die Lage der MigrantInnen.
Mit der Wirtschaftskrise und der hohen Verschuldung Griechenlands, bietet das Land erschreckende Beispiele für die Deregulierung des Arbeitsmarktes, insbesondere für den Abbau des Schutzes der Arbeitnehmende: Im öffentlichen Sektor werden gewerkschaftliche Aktivitäten schwieriger, u.a. weil die Tarifverträge nicht mehr anerkannt werden und die Gewerkschaften in den staatlichen Betrieben sowie in der Verwaltung keine Ansprechpartner mehr haben. Darüber hinaus will die politische Elite nichts mehr mit den Gewerkschaften zu tun haben. Die Polizei begleitet neuerdings Streikbrechende zur Arbeitsaufnahme in die Betriebe. Die traditionellen Errungenschaften der Arbeitnehmenden können kaum mehr mit traditionellen (legalen) Mitteln durchgesetzt werden. Im privaten Sektor ist neu eine Zeitbeschäftigung sowie Gelegenheitsarbeit unter dem Mindestlohn-Ansatz von 640 Euro im Monat möglich, die Kündigungsfristen wurden gekürzt und die Erhöhung der Löhne nach oben plafoniert. Das Recht zu streiken kann von der Arbeitgeberschaft zeitlich verschoben werden[1].
Die Entwicklungen in Griechenland entsprechen der offiziellen Politik der EU, die die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit der Länder über die Menschen- und Grundrechte der BürgerInnen stellt: Unter dem Begriff „flexicurity“ kommt zur internationalisierten Deregulierung des Arbeitsrechts die soziale Destabilisierung hinzu[2]. Arbeitgebende haben nun in Griechenland die Möglichkeit, die Beiträge an die Sozialversicherungen zu reduzieren und die Rentenberechtigung ist von 40 Beitragsjahren abhängig. Es fand ein Paradigmenwechsel von der Versicherungsmaxime zur Privatisierung der Altersvorsorge statt[3].
Unter dem Vorwand von Anti-Terror-Massnahmen wurden nicht nur in Griechenland die Unschuldsvermutung aufgeweicht und Ausnahmegesetze erlassen. Ein solches Ausnahmegesetz erlaubt es den griechischen Behörden, eine Vereinigung von demokratischen Kräften als terroristische Gruppen zu verfolgen, Kundgebungen unter Einsatz von chemischen Substanzen, die im Krieg illegal sind, aufzulösen oder lange Untersuchungshaft für AktivistInnen zu verfügen. Gesetze, die nun auch zur Zerschlagung sozialer Proteste angewendet werden. „Der Neoliberalismus trennt sich von der Demokratie und die Verteidiger der Demokratie werden in deren Struktur bekämpft“[4].
Als schwächstes Glied in der Gesellschaft trifft die Wirtschaftskrise letztlich die MigrantInnen am härtesten. Wer illegal über die Grenze kommt, wird in Griechenland von der Polizei festgenommen, in Lager gebracht und von dort ausgeschafft, ohne dass die Frage der Schutzbedürftigkeit geklärt wird. Die Sondergrenzpolizei der EU, FRONTEX, hat zum Ziel, den Schengen-Raum so abzuschotten, dass MigrantInnen Europa möglichst nicht mehr erreichen können. Zur Überwachung der Grenzen und Meere werden hochsensible Sensoren und Kameras wie auch Waffen eingesetzt. Es ist eine Industrie für Überwachungselektronik entstanden, die die traditionelle Kriegsindustrie ergänzt[5].
Zehn Jahre G8-Proteste in Genua und deren Folgen
An der Konferenz in Genua präsentierten ReferentInnen aus zahlreichen europäischen Ländern die Entwicklungen der Grundrechtsbeschränkungen sowie Repression gegen Soziale Bewegungen und die Rolle der Anwältinnen und Anwälte in der EU sowie in den einzelnen Ländern. Die Berichte zeigen ein einheitliches Schema von Repression und Gewalt aus Genua, Heiligendamm, London, Madrid oder Kopenhagen usf.
Die EU hat bereits fragliche Verfahren für den bilateralen Austausch von Geheimdienst und polizeiliche Informationen bei grenzüberschreitenden Protesten etabliert. Nach dem „Krieg gegen Terrorimus“, anfänglich geführt gegen Muslime und andere MigrantInnen-Gemeinschaften, insbesondere Asylsuchende, zeichnet sich nun ein alarmierendes Bild in ganz Europa: die Bekämpfung von sozialen Protesten und die Einschränkung des Grundrechts auf Demonstrationsfreiheit zum „Schutz der inneren Sicherheit“ der Länder und der EU[6].
Der Neoliberalismus, dem sich die EU immer noch verschrieben hat, ist geprägt vom Abbau sozialer Errungenschaften und der fortwährenden Einschränkung oder gar Privatisierung des öffentlichen Raumes. Diesen Entwicklungen steht zunehmend der Protest der BürgerInnen gegenüber: in Form von Demonstrationen, in sozialen Foren, mit Haus- und Fabrikbesetzungen, Streiks oder mit ,Ich zahle nicht-Bewegungen’ bis hin zu militanten Aktionen. Vor allem bei Demonstrationen und Protestaktionen wird immer öfter exzessive Polizeigewalt angewendet. Mit flächendeckender Videoüberwachung, ungerechtfertigten Verhaftungen, verdeckten Ermittlungen und dem Einsatz von Agents provocateurs werden Grundrechte teils massiv verletzt. Diese staatlichen Übergriffe wie auch der fehlende staatliche Schutz für Flüchtlinge, die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Arbeitenden sowie die Armutsbetroffenen eröffnen den demokratischen Juristi_innen ein Feld von Anforderungen, das weit über ihre Ressourcen geht[7].
Gilberto Pagani, Präsident der Vereinigung ,European Democratic Laywers“ EDL’, hielt in seinem Rückblick fest: „Zehn Jahre nach dem G8-Gipfel in Genua kehren wir zurück, wir reflektieren die Bilder des ermordeten Studenten Carlo Giuliani, den Kopf auf dem Asphalt des Alimonda-Platzes, der blutüberströmten Jugendlichen, die in der ‚Diaz- Schule’ festgehalten wurden, und der Folterungen von Bolzaneto. Für das den Ereignissen nachfolgende Engagement wurden wir demokratische Anwältinnen und Anwälte von der Motivation getrieben, die Toga gegen den Kittel der ‚legal teams’ auszuwechseln und die Menschenrechte zu verteidigen. Genua 2001 war eine Wasserscheide. Vieles wurde in den Prozessen augenfällig, das Schweigen, die Unwahrheit, die Rufmorde und die unzähligen Gewalttätigkeiten der Polizei wurden aufgedeckt und es gab Verurteilungen, leider auch Freisprüche. Vieles blieb hingegen im Dunkeln und unbestraft: u.a. der Mord an Carlo und der ‚Black Block’, bestehend aus Agents Provocateurs. Die Rolle der ‚legal teams’ war in den Geschehnissen und den darauf folgenden Prozessen wichtig: Da wir Augenzeugen waren von den Vorfällen, konnten sich die RichterInnen, ParlamentarierInnen und Exekutivorgane nicht vollständig der rechtsstaatlichen Grundsätze entledigen und wurden zur Aufklärung angehalten“.
„Was ist los in der Stadt?“ fragten PassantInnen anlässlich der grossen Kundgebung nach dem Kongress: „Es gibt eine Demonstration für Carlo Giuliani“ erklärten besser informierte Personen, „Genova 2001 non si dimentica“.
Simone Rebmann, Vertreterin der DJS im Vorstand der EJDM
[1] Kapsalis Apostolos, lawyer, research associate in the Labour Institute of Greek General Workers Confederation, GR
[2] Dimitiris Perpataris, lawyer, GR
[3] Andreas Mattheou, PhD, lawyer, Social Security Law, GR
[4] Kostas Papadakis, lawyer, und Dimitris Belantis, PhD, lawyer, GR
[5] Giota Masouridou, laywer, GR
[6] Tony Bunyan, Director of Statewatch, GB
[7] Rüffert, Comm. / Luxenburg; Comm. / Portugal