Menschenrechtsbeobachtung der NRV
“Bitte vergessen Sie Honduras nicht!”
Montag, 16. April 2012 | Autor: hfe | Diese Seite als PDF herunterladen
Mit dieser Bitte wandte sich unsere entlassene honduranische Kollegin Tirza Flores Lanza an das Publikum, als ihr am 23.10.2010 in Berlin der Hans-Litten-Preis der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VdJ) verliehen wurde.
Tirza Flores Lanza und ihr mit nach Deutschland gereister Mann Guillermo Lopez Lone – auch er Richter, auch er entlassen – sind Gründungsmitglieder der im Jahr 2006 gegründeten Richtervereinigung “Jueces por la Democracia en Honduras (AJD)”. Zur Zeit des Putsches gegen Präsident Zelaya am 28. Juni 2009 war Guillermo Lopez Lone Vorsitzender der Vereinigung. Er wurde entlassen, weil er an einer Demonstration gegen den Staatsstreich teilgenommen hat. Tirza Flores Lanza wurde entlassen, weil sie eine Entscheidung des Obersten Gerichts kritisiert, Haftbeschwerde gegen den Haftbefehl gegen Präsident Zelaya eingelegt und Strafanzeige wegen seiner Verschleppung nach Costa Rica erstattet hat (zu den Einzelheiten vgl. Verf., Betrifft Justiz 2010, S. 260 ff und S. 359). Entlassen wurden auch die Mitglieder der AJD, Luis Chevez de la Roche und Ramón Barrios.
Druckversion – NRV Bericht Honduras
Die europäische Richtervereinigung MEDEL, deren Mitglied die NRV ist, und die AJD arbeiten seit deren Gründung eng zusammen. Anlässlich des Besuchs der beiden Richter in Deutschland kam es erstmals auch zu engeren Kontakten zwischen der AJD und der NRV. Sie berichteten über die Situation in Honduras und ihre Entlassungen in gemeinsamen Veranstaltungen der VdJ, der NRV und anderer Organisationen und auf dem “Richterratschlag”. Nach einer der Veranstaltungen luden sie uns zu einem Besuch des Landes ein.
Wir wussten, dass wir in eines der ärmsten Länder Lateinamerikas fahren würden, das inzwischen weltweit die höchste Mordrate aufweist und nach dem Putsch politisch zerrissen ist. Weil Honduras nicht zur Normalität zurückgekehrt ist und die Menschenrechte in ihrem Land unerträglich verletzt werden, hatte Tirza Flores Lanza ihre Bitte, Honduras nicht zu vergessen, in ihrer Dankesrede für die Verleihung des Hans-Litten-Preises ausgesprochen.
Von vornherein planten wir daher, während unseres Aufenthaltes in Honduras mit Menschenrechtsverteidigern, sozialen Organisationen und Opfern von Menschenrechtsverletzungen zusammenzukommen, um den Blick nicht auf die Justiz zu beschränken. Als Richterinnen und Richtern war uns darüber hinaus aber auch daran gelegen, uns möglichst umfassend über die Justiz des Landes, insbesondere die Strafjustiz, zu informieren und uns in Zusammenkünften mit Abgeordneten des Parlaments und Regierungsvertretern für eine Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit und eine Wiedereinstellung der entlassenen Kollegin und Kollegen einzusetzen.
Von Seiten des deutschen Botschafters in Honduras kam die Anregung, in einigen Vorträgen über Fragen des deutschen Rechts zu referieren. Dank des Engagements unserer (nicht professionellen) Dolmetscherin, Frau Soto Ciani, und der Unterstützung durch das Auswärtige Amt und die Holtfortstiftung war dies möglich.
Dabei haben wir die Themen so ausgewählt, dass wir von einem Interesse der honduranischen Zuhörer und Zuhörerinnen ausgehen konnten. Daran konnte für das Thema “Die Verantwortung des Richters” kein Zweifel sein, galt aber angesichts der Probleme der Jugendkriminalität in Honduras ebenso für das Thema “Jugendrecht in Deutschland.”. Diese Vorträge wurden in zwei sehr gut besuchten Veranstaltungen in großen Hörsälen der juristischen Fakultäten zweier Universitäten in San Pedro Sula und Tegucigalpa gehalten, denen eine lebhafte Frage- und Diskussionsrunde folgte. Das Thema des Vortrags “Das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitkräften” wurde im Hinblick auf ein in Honduras verabschiedetes Gesetz zur Erleichterung von befristeten und Teilzeitarbeitverhältnissen ausgewählt. Er wurde vor etwa 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gehalten und führte ebenfalls zu einer engagierten Diskussion.
Die Vortragsveranstaltungen sind nicht Gegenstand des nachfolgenden Berichts. Er widmet sich in seinem ersten Teil der ständig zunehmenden Gewaltkriminalität und einem besonderen Aspekt, der immer wieder Gegenstand unserer Gespräche war: die Beteiligung großer Teile der Polizei an Straftaten schwersten Ausmaßes. Der zweite Teil betrifft unsere Gespräche und Begegnungen mit einigen besonders benachteiligten Gruppen der Bevölkerung und MitarbeiterInnen von sich für ihre Belange einsetzenden sozialen und Menschenrechtsorganisationen. Der dritte Teil handelt von den schweren Mängeln bei der Strafverfolgung, die auch von staatlichen Stellen nicht bestritten werden. Der vierte Teil befasst sich mit einigen Problemen der richterlichen Unabhängigkeit. Abschließend wird auf das Medienecho und den Stand der Verfahren unserer Kollegin und unserer Kollegen eingegangen.
Gleich nach unserer Ankunft erfuhren wir, dass ein weiterer Kollege entlassen wurde: der Vizepräsident der AJD, Renan Oswaldo Vindel. Seine Beschwerde gegen die Entlassung und eine Presseerklärung der AJD liegen uns inzwischen vor. Wir werden hierüber in einer gesonderten Mitteilung informieren.
Organisierte Kriminalität, Morde an politischen Gegnern, Polizeibeteiligung
In seinen Sicherheitshinweisen teilt das Auswärtige Amt mit, im Jahr 2011 habe die Mordrate in Honduras 86 Opfer pro 100.000 Einwohner betragen. Dies ist auch die Zahl, die uns in Honduras immer wieder genannt wurde.
Eine wesentliche Ursache für den Anstieg der Gewalt ist die zunehmende Verstrickung des Landes in Drogenhandel und organisierte Kriminalität. Hinzu kommen seit dem Putsch eine Vielzahl politischer Morde, Morddrohungen und anderer Delikte gegen Anhänger der Widerstandsbewegung, Menschenrechtsverteidiger, Umweltschützer und Journalisten. Seit dem 28. Juni 2009 wurden 19 Journalisten und Journalistinnen ermordet. Nur in einem Fall, so einer unserer Gesprächspartner, werde vermutet, dass der ermordete Journalist Kontakte zum organisierten Verbrechen gehabt habe.
Die NRV hat in ihrem Newsletter Nr. 18 einen Brief des US-Abgeordneten Berman an Außenministerin Hillary Clinton veröffentlicht, in dem dieser berichtet, der Vizepräsident des honduranischen Kongresses, Marvin Ponce, gehe davon aus, dass 40 % der honduranischen Polizei an organisiertem Verbrechen beteiligt sei. Dies deckt sich mit dem, was unsere Gesprächspartner uns über die Polizei erklärt haben, die zudem auch für einen Großteil der politischen Gewalttaten verantwortlich gemacht wird.
Erwiesen ist, dass Polizisten den Sohn der Rektorin der “Universidad Nacional de Honduras”, in der wir zu Gast waren, Alejandro Vargas Castellanos, und seinen Freund, Carlos David Pineda, am 22.10.2011 erschossen haben. Bekannt geworden ist folgendes:
Bei einer Verfolgung des Fahrzeuges, in dem sich die beiden jungen Männer befanden, durch Polizeikräfte, die die jungen Männer möglicherweise für Autodiebe hielten, schoss die Polizei und traf Alejandro Vargas Castellanos tödlich. Der Freund schrie, es handele sich um den Sohn der Rektorin, woraufhin sich die Polizisten telefonisch erkundigten, wie sie sich verhalten sollten. Dies bekam die Rektorin mit, weil sie in dieser Zeit von Carlos David Pineda angerufen wurde, und die sich daraufhin um Hilfe höherer Stellen der Polizei bemüht hat. Später wurden beide Freunde erschossen aufgefunden. Zwei Polizisten wurden festgenommen. Ihnen wurde jedoch von ihrem Vorgesetzen an einem Wochenende Urlaub gewährt, woraufhin sie untergetaucht sind. Einer der Polizisten hat sich inzwischen gestellt.
So wurde uns der Sachverhalt von dem Menschenrechtsberater des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, Herrn Maldonado Paredes, geschildert. Frau Castellanos, die an der Vortragsveranstaltung in der “Universidad Nacional Autónoma de Honduras” teilgenommen hat, haben wir unser Mitgefühl ausgedrückt.
Wir sprachen mit Herrn Maldonado Paredes auch über den Mord an dem ehemaligen Drogenfahnder Alfredo Landaverde, der am 07.12.2011 von Maskierten von einem Motorrad aus in seinem Fahrzeug erschossen wurde. Maldonado Paredes berichtete, dieser habe ihm und weiteren Mitarbeitern der Vereinten Nationen kurz vor dem Mord mitgeteilt, welche höherrangigen Mitarbeiter der Polizei mit welchen Drogenbaronen zusammenarbeiteten. Es sei sehr schmerzhaft für ihn und seine Kollegen gewesen, dass sie das Verbrechen nicht hätten verhindern können.
Auf die Förderung der honduranischen Polizei durch die Europäische Union angesprochen, erklärte uns der deutsche Botschafter, dieses Projekt sei bereits vor dem Putsch zugesagt worden. Außerdem fließe nur ein Teil der Mittel in die Polizeiausstattung. Einen weiteren Teil erhielten die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Menschenrechte und Menschenrechts- organisationen.
Armut und Gewalt
Menín Capellán, der Gründer und Leiter von “Casa Alianza“, einer Einrichtung für Straßenkinder, den wir im Kinderzentrum dieser privaten Hilfsorganisation im Zentrum der Hauptstadt Tegucigalpa trafen, berichtete uns über die traurige Realität armer Kinder und Jugendlicher. Obwohl Kinderarbeit verboten sei, gebe es schätzungsweise 150.000 Kinder im Alter bis zu 14 Jahren, die insbesondere in Minen, in der Agroindustrie, Zuckerrohrernte, Langustenfischerei oder bei der Herstellung von Ziegelsteinen arbeiteten. Etwa 8000 Kinder und Jugendliche versuchten jährlich, in die USA zu gelangen. Etwa 90 Kinder und Jugendliche würden derzeit in jedem Monat ermordet.
Nach Schätzungen der Organisation sind an den Morden zu 15 % Polizeikräfte, zu 20 % Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste, zu 40 % Bandenmitglieder (Maras), zu 10 % bezahlte Killer und im übrigen Drogenkleinhändler und sonstige Privatleute beteiligt. Auch von Casa Alianza betreute Kinder seien von Maras ermordet worden. Demgegenüber sei die Straffälligkeit von Kindern und Jugendlichen kein großes gesellschaftliches Problem. Nur etwa 5 % der Straftaten würden von Kindern und Jugendlichen begangen, die noch keine 18 Jahre alt seien. Bei der Führungsebene der Maras handele es sich um Erwachsene, die sich allerdings schon in jungen Jahren den Maras angeschlossen hätten.
Ein etwas anderes Bild der Jugendkriminalität zeichneten dagegen die Mitglieder der Strafkammer des Berufungsgerichts von San Pedro Sula, mit denen wir am ersten Tag unseres Aufenthaltes sprachen. Sie sagten, Jugendliche und sogar Kinder begingen inzwischen grausamste Straftaten, für die das Jugendstrafrecht keine geeigneten Lösungen bereit halte. Leider kümmere sich der Staat auch kaum um straffällige Jugendliche. Für sie stünden lediglich “Besserungseinrichtungen” zur Verfügung, in denen Jugendliche verschiedenster Altersgruppen untergebracht würden.
Dass es sich bei der im Land vorherrschenden Gewalt häufig um häusliche oder sexuelle Gewalt handelt, wurde von mehreren unserer GesprächspartnerInnen aus dem Bereich der sozialen und Menschenrechtsorganisationen angesprochen. Hierzu sagte uns Herr Capellán, leider sei der verbreitete sexuelle Missbrauch von Mädchen und jungen Frauen kein nationales Thema. Im Rahmen einer Untersuchung zur Region Bajo Aguan habe “Casa Alianza” ermittelt, dass Mädchen im Alter zwischen 12-16 Jahren mit einem Anteil von 40 % an den Geburten in öffentlichen Krankenhäusern beteiligt seien. Abtreibungen selbst nach Vergewaltigungen seien illegal. Ungeachtet dessen habe die Direktorin eines zentralen Krankenhauses von täglich 3 Abtreibungen bei Minderjährigen in ihrem Krankenhaus berichtet. Anstatt diese Thematik aufzugreifen, werde in konservativen Kreisen eine absurde Debatte über Sexualerziehung in den Schulen geführt.
Von San Pedro Sula fuhren wir nach Choloma, der drittgrößten Stadt des Landes, in und um die herum die Exportproduktion, vorrangig des Bekleidungssektors, angesiedelt ist, in der ganz überwiegend junge Frauen zu äußerst prekären Arbeitsbedingungen Beschäftigung finden. Hier trafen wir in den Räumen der Frauenorganisation CODEMUH mit Arbeiterinnen zusammen, die schwere Schäden an ihrer Gesundheit erlitten haben, insbesondere im Bereich der Schultern und Wirbelsäule. Hauptursachen hierfür sind mangelhafte Arbeitsplätze, Akkordarbeit, Überstunden und gesundheitsschädliche Schichtzeiten. Die sog. 4:4 Schichten sind weit verbreitet. Hier arbeiten die Arbeiterinnen an 4 Tagen jeweils 11 Stunden, die von einer halbstündigen Mittagspause unterbrochen werden. Danach werden sie 4 Tage lang nicht beschäftigt, sofern sie nicht Überstunden leisten.
Da der Arbeitsverdienst äußert niedrig ist, versuchen viele Arbeiterinnen, während der viertägigen Arbeitsunterbrechung durch zusätzliche Arbeit ihre Einkünfte zu verbessern. Uns wurde eine Lohnabrechnung gezeigt. Danach erhielt eine Arbeiterin für eine 56-Stunden-Woche ein Arbeitsentgelt von etwas mehr als 1000 Lempiras brutto. Dies entspricht etwa 42 Euro. Allein die Miete für ein Zimmer von etwa 10 qm beträgt nach Angaben der Arbeiterinnen monatlich etwa 1000 Lempiras. Viele von ihnen haben Kinder, ein Teil von ihnen ist allein erziehend.
Zum Teil hat der Träger der Sozialversicherung anerkannt, dass bei den Arbeiterinnen, mit denen wir sprachen, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt und zahlt eine monatliche Rente von rund 1500 Lempiras. Zum Teil betreiben die Arbeiterinnen mit Unterstützung von CODEMUH noch die Anerkennung ihrer Erwerbsminderung. In den Unternehmen ist es oft sehr schwierig für sie, einen adäquaten Arbeitsplatz ohne Gruppenakkord zu erhalten. Gelingt ihnen dieses, müssen sie Verdiensteinbußen in Kauf nehmen.
Nur kurz soll noch erwähnt werden, dass wir uns auch über einen Landkonflikt informieren konnten. Von Choloma aus fuhren wir zu einem ursprünglich brachliegenden Gelände, das arme Menschen kultiviert hatten. Wir sahen, dass die Anpflanzungen auf einem Teil des Geländes zerstört waren und erfuhren, dass ein Strafgericht auf Betreiben des Eigentümers die Zerstörung aller Anpflanzungen angeordnet hatte. Allerdings sei dies der Polizei, die vor wenigen Tagen gekommen sei, nur zu einem Teil gelungen, weil Anwohner aus der Nähe zu Hilfe gekommen seien und sich der zur Zerstörung eingesetzte Arbeiter daraufhin geweigert habe, mit seinem Bulldozer gegen die Menschen vorzugehen.
Dies sei kein Einzelfall, erfuhren wir später in einem Gespräch mit Frau Flores Lanza, sondern geschehe sehr häufig und in vielen Landesteilen.
Straflosigkeit und überfüllte Gefängnisse
Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass die Aufklärung und Verfolgung von Straftaten in einem Land wie Honduras Mängel aufweist. Das Attribut “Mängel” beschreibt die Zustände allerdings nur unzureichend; man wird sie eher als “katastrophal” bezeichnen können.
Alle unserer GesprächspartnerInnen haben die Strafgerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei als in hohem Maß korrupt bezeichnet. Das Ausmaß der Straflosigkeit ist erschreckend hoch.
Auch dies wurde von niemandem geleugnet. Eine Mitarbeiterin einer Menschenrechtsorganisation erläuterte, von 10 angezeigten Straftaten gelangten nur 3 zur Anklage.
Auffallend war, dass die Vertreter der staatlichen Stellen, mit denen wir sprachen, die “Schuldigen” jeweils außerhalb ihres eigenen Kompetenzbereiches fanden. So betonte der Richter am Obersten Gericht, Herr Carlos David Cálix, dass die Staatsanwaltschaft Straftaten nicht anklage, unser Gesprächspartner bei der Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Menschenrechte bemängelte, dass Strafverfahren durch das Oberste Gericht eingestellt würden, und der Abgeordnete, Herr Mario Pérez, Vorsitzender eines sich mit Sicherheitsfragen beschäftigenden Parlamentsausschusses, erklärte, korrupter als die Polizei sei die Staatsanwaltschaft und noch korrupter als die Staatsanwaltschaft sei die Justiz. Sehr häufig nehme die Polizei einen Straftäter fest, die Staatsanwaltschaft klage ihn an und die Gerichte ließen ihn frei. Die Flucht der nach der Erschießung des Sohnes der Rektorin und seines Freundes festgenommenen Polizisten habe die Staatsanwaltschaft zu verantworten, weil sie es versäumt habe, für den Erlass eines Haftbefehls zu sorgen.
Herr Pérez, aber auch der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Parlaments, Herr Orle Solis, und unsere Gesprächspartnerinnen im Justizministerium hoben die Bedeutung eines Regierungsdekrets zur Säuberung der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Justiz von der organisierten Kriminalität hervor und erklärten, dass es die Bildung eines Untersuchungsausschusses von fünf Personen, darunter zwei Personen aus dem Ausland, vorsieht. Ob dieser Ausschuss in der Lage ist, die ihm gesetzte Aufgabe zu erfüllen, und ob es nicht sinnvoller wäre, eine Sondereinheit der Staatsanwaltschaft damit zu beauftragen, konnten wir aus Zeitgründen nicht ansprechen.
Um uns zu verdeutlichen, wie korrupt Strafgerichte in Honduras sind, berichtete uns eine Mitarbeiterin einer Menschenrechtsorganisation von einem Arzt, der in erster Instanz wegen Mordes an seiner Lebensgefährtin zu einer Freiheitsstrafe von 15 ½ Jahren verurteilt worden sei und ein Rechtsmittel dagegen eingelegt habe. Obwohl es hierfür keine gesetzliche Grundlage gebe, habe ein Berufungsgericht dem Arzt Haftverschonung gewährt und Hausarrest angeordnet. Tatsächlich übe er sogar weiterhin seinen Beruf aus. Dagegen sei eine Frau wegen Abtreibung zu 5 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden und befinde sich im Gefängnis, obwohl auch das Urteil gegen sie noch nicht rechtskräftig sei.
Wiederholt wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass in Honduras die Mindeststrafen für viele Straftaten wesentlich höher sind als in Deutschland, etwa bei Drogendelikten. So beträgt die Mindeststrafe für den Handel mit Drogen unabhängig von der gehandelten Menge 15 Jahre Freiheitsstrafe.
Welches schreckliche Schicksal Gefangene in Honduras erleiden können, erfuhren wir gleich nach unserer Ankunft, denn am 14. Februar kam es zu einem Brand im Gefängnis von Comayaga, bei dem mehr als 350 Gefangene starben, weil die Türen ihrer Zellen nicht rechtzeitig geöffnet wurden. Das für rund 400 Gefangene ausgelegte Gefängnis war mit fast 900 Personen, überwiegend Untersuchungshäftlinge, völlig überbelegt.
Mehrere unserer GesprächspartnerInnen aus dem Bereich der sozialen und Menschenrechtsorganisationen teilten uns mit, dass es ähnliche Ereignisse auch schon früher gegeben habe und viele Gefängnisse extrem überbelegt seien. Wegen des Todes von 107 Gefangenen bei einem Brand im Gefängnis von San Pedro Sula im Jahr 2004 sei ein Verfahren vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig, weil die Schuldigen von der honduranischen Justiz nicht verurteilt worden seien. Gleiches gelte wegen des Todes von Gefangenen in einem Gefängnis in La Ceiba im Jahr 2003.
Statt richterlicher Unabhängigkeit Einflussnahmen und Anpassungsdruck
Die Korruption in der Strafjustiz beruht nach Angaben einiger unserer GesprächspartnerInnen unbestreitbar darauf, dass die organisierte Kriminalität Einfluss auf Richter und Richterinnen nimmt. Deshalb bezieht das oben erwähnte Regierungsdekret die Gerichte in die geplante Säuberung ein. Der Drogenhandel habe alles verseucht, erklärte uns der Abgeordnete Pérez.
Es greift jedoch zu kurz, wenn man die Korruption in der Strafjustiz nur auf Verbindungen zur organisierten Kriminalität zurückführt. Von unseren Kollegen und Kolleginnen wissen wir vielmehr, dass es vielfältige Versuche, gerade auch aus dem Bereich der Politik, gibt, auf richterliche Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Entweder werden die Dienstvorgesetzten eingeschaltet, oder die Kontaktaufnahme erfolgt direkt.
Dabei sorgt der honduranische Staat selbst durch seine Gesetzgebung dafür, dass viel Mut dazu gehört, derartige Beeinflussungsversuche zurückzuweisen. Denn die betroffenen Richter und Richterinnen können nicht sicher sein, dass sie vor Entlassung oder sonstigen Disziplinarmaßnahmen geschützt sind, wenn sie außerrechtlichen Einflussnahmen nicht nachgeben.
Das Disziplinarrecht für Richter und Richterinnen enthält eine Fülle von Generalklauseln. Zuständig für die Durchführung von Disziplinarverfahren war bis vor kurzem das Oberste Gericht, also die Instanz, die über Rechtsmittel gegen richterliche Entscheidungen zu befinden hat (vgl. Verf., Betrifft Justiz, S. 359). Wir erfuhren, dass inzwischen nur noch der Präsident des Obersten Gerichts für die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen zuständig ist. Gegen eine Entlassung oder andere Disziplinarmaßnahmen kann nicht vor einem unabhängigen, honduranischen Gericht geklagt werden. Vielmehr gibt es nur einen Rechtsbehelf zu einem “Consejo de la Carrera Judicial”, dessen Mitglieder vom Obersten Gericht ernannt werden. Danach bleibt nur noch der Weg zum Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Auf unsere Frage bei dem Gespräch mit den Vizeministerinnen und dem Generalsekretär des Justizministeriums, ob an eine Änderung des Disziplinarrechts für Richter und Richterinnen gedacht sei, wurde geantwortet, derzeit werde hieran nicht gearbeitet.
Wenigstens einen Hoffnungsschimmer, dass sich etwas verbessert, gibt es aber. Der nach einer bereits im Jahr 2001 vorgenommenen Verfassungsänderung einzurichtende Justizrat wird in Kürze gewählt. Nach dem Gesetz über den Justizrat besteht er aus 5 Mitgliedern. Dies sind der Präsident des Obersten Gerichts, 2 Vertreter der Richterorganisationen, 1 Vertreter der Justizangestellten und 1 Vertreter der Rechtsanwaltskammer. Die Richterorganisationen, Justizangestellten und Rechtsanwälte unterbreiten dem Parlament jeweils 5 Personalvorschläge. Dieses trifft die Auswahlentscheidung.
In Honduras gibt es zwei Richtervereinigungen, die AJD ist die kleinere. Da wir von der AJD erfahren hatten, dass es Anzeichen gebe, dass das Parlament keinen ihrer KandidatInnen wählen wolle, sprachen wir den Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses des Parlaments direkt darauf an. Dieser versicherte uns, nach dem Gesetz müsse ein Vertreter bzw. eine Vertreterin der AJD gewählt werden und deswegen werde das Parlament dies tun.
Medienecho
Aus Anlass der Entlassung unseres Kollegen Renan Oswaldo Vindel gab die AJD am 15. Februar in San Pedro Sula eine Pressekonferenz, zu der wir hinzukamen, wodurch wir Gelegenheit bekamen, über den Zweck unserer Reise zu informieren. Eine weitere Pressekonferenz gaben wir am Ende unseres Aufenthaltes in Tegucigalpa gemeinsam mit dem deutschen Botschafter.
Von einigen Medien, die den Putsch unterstützt haben, wurden wir ignoriert. Zwei honduranische Tageszeitungen, “La Tribuna” und “Tiempo”, und einige digitale Zeitungen haben jedoch ausführlich über unseren Besuch berichtet. Außerdem wurden wir für den Hörfunk und das Fernsehen interviewt. “Radio Globo” hat im Hörfunk und Fernsehstudio aufgenommene Sendungen mit uns übertragen.
Klare Worte fand der deutsche Botschafter bei der abschließenden Pressekonferenz. Er sagte, Honduras funktioniere perfekt im Interesse Einiger. Er wolle allerdings nicht kritisieren, sondern einen Dialog führen, denn auch in Deutschland gebe es Korruption. Aber bei uns existierten Mechanismen, die Urteile gegen die Täter nicht erst in 5 oder 15 Jahren erlaubten, vielleicht könne man daraus etwas lernen.
Stillstand in Honduras, Bewegung auf internationaler Ebene im Fall der entlassenen Richter
Am 22. September 2011 hat der “Consejo de la Carrera Judicial” die Entlassungen von Tirza Flores Lanza, Guillermo Lopez Lone und Luis Chevez de la Roche bestätigt. Erfolg hatte lediglich der Rechtsbehelf des Richters Ramón Barrios.
Nachdem die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte nach einer Anhörung im April 2011 bereits entschieden hat, dass die Beschwerden gegen die Entlassungen nach der Amerikanischen Menschenrechtskonvention zulässig sind, wird nun am 26. März d.J. ein zweiter Anhörungstermin bei der Kommission stattfinden.
Die Amerikanische Menschenrechtskonvention sieht ebenso wie die Europäische Menschenrechtskonvention vor, dass die Parteien eines Verfahrens, nachdem der Antrag für zulässig erklärt wurde, eine gütliche Einigung in Erwägung ziehen sollen. Bei unserem Gespräch im Justizministerium fragten wir nach, aus welchen Gründen sich der honduranische Staat bisher nicht mit unserer entlassenen Kollegin und unseren entlassenen Kollegen in der Weise geeinigt hat, dass sie wieder eingestellt werden. Darauf wurde uns von den Vizeministerinnen, die die Justizministerin kurzfristig vertraten, geantwortet, die Entscheidung darüber treffe der Präsident des Landes. Sie seien auf diese Frage nicht vorbereitet.
Sie sagten uns zu, uns die Antwort der Justizministerin auf unsere Frage über die deutsche Botschaft zukommen zu lassen. Wir werden an die noch ausstehende Antwort erinnern.
Düsseldorf, den 24.03.2012
Ingrid Heinlein