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Plädoyer für eine unternehmerische Gesetzesproduktion

Montag, 26. Oktober 2009 | Autor: hfe | Diese Seite als PDF herunterladen

Von Martin Kutscha

Ein tüchtiger Rechtsanwalt ist zu vielem fähig, zumal wenn er in einer internationalen Großkanzlei beschäftigt ist und damit auch ein weit geöffnetes Ohr für die Wünsche der Wirtschaft erwarten lässt. Da liegt es doch nahe, solchen Anwälten auch die Produktion von wichtigen Gesetzestexten anzuvertrauen. Privat ist allemal besser als der Staat, wissen wir doch von unseren Vorbetern in Politik und Medien. Und die Beamten in den Ministerien, die früher für die Anfertigung von Gesetzentwürfen zuständig waren, sind bekanntlich träge und ineffektiv. Darüber hinaus könnten sie, gesetzlich auf das Gemeinwohl verpflichtet, möglicherweise versucht sein, den Wirtschaftsinteressen nicht immer den ihnen gebührenden Vorrang einzuräumen. Wo kämen wir denn da hin?

Inzwischen hat schließlich auch die Wissenschaft erkannt, dass es sich bei den Gesetzen genauso um ein „Produkt“ handelt wie bei fast allem auf der Welt, von der Tüte Popcorn bis zur Festnahme eines Verbrechers durch die Polizei oder die „humanitäre Intervention“ in Gestalt der Bombardierung des Territoriums eines anderen Staates durch die Bundeswehr, vielleicht ja auch der Geschlechtsakt. Und da nun einmal die Ökonomie die Welt beherrscht, sollten Gesetze nicht länger verstanden werden als Versuch politischer Gestaltung, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, oder gar als Ausdruck von Volkssouveränität, wie es dem seligen Immanuel Kant vorschwebte. Nein, Gesetze sind Regeln, die den obwaltenden Sachzwängen der weltweiten Ökonomie Rechnung tragen sollen, und dazu gibt es keine Alternative, wie es schon Maggie Thatcher wusste. Da es ja nur um das Erkennen und Berücksichtigen solcher Sachzwänge geht und nicht etwa um die Verwirklichung politischer Visionen (für deren Behandlung nach Gerhard Schröder ohnehin der Arzt zuständig sein soll), ist die Gesetzesproduktion in den Händen eilfertiger und geschickter Wirtschaftsanwälte denn auch am besten aufgehoben. Und 1,1 Mill. Euro für die „externe Beratung“ z. B. zum Gesetz zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes ist doch nun wirklich ein Schnäppchenpreis, verglichen mit den Milliarden für die Bankenrettung.

Aber warum sollten wir bei der Produktion von Gesetzentwürfen durch Anwaltskanzleien stehen bleiben? Wäre es nicht konsequent, auch die Verabschiedung der Gesetze selbst in die verantwortungsvollen Hände der führenden Wirtschaftsunternehmen zu legen? So könnten z. B. die großen Energieunternehmen bei der Neuformulierung des Atomgesetzes ihre Sachkunde vollauf zur Geltung bringen. Und beim Nichtraucherschutz sollten die Kenntnisse der Tabakindustrie endlich die entscheidende Rolle spielen. Auch im Lebensmittelrecht sollte das Prinzip der Selbstregulierung etwa durch die großen Schlacht- und Fleischverarbeitungsbetriebe Platz greifen. Staatliche Kontrolle ist von gestern, schließlich soll der mündige Verbraucher selbst entscheiden können, was er kauft und was nicht. Vor allem aber würde eine solche unternehmerische Gesetzgebung erhebliche Einspareffekte bewirken: Bundestag und Bundesrat könnten abgeschafft werden, und der ganze Rummel um die Parlamentswahlen würde wegfallen. Die Straßen würden nicht mehr mit den unattraktiven Politikerkonterfeis auf zahllosen Wahlplakaten verschandelt, sondern könnten wieder durch die Präsentation der neuesten Handy-Modelle, Zigarettenschachteln und McDonalds-Sonderangebote den Konsum ankurbeln und zur ästhetischen Bereicherung beitragen. Schließlich würde auch die mühselige Arbeit der Lobbyisten bei den Mitgliedern der Volksvertretung überflüssig, und die unverständliche Empörung mancher Zeitgenossen über Konzernvertreter als Mitarbeiter in Bundesministerien würde gegenstandslos.

Für ein solche Reform der Gesetzgebung müsste freilich das Grundgesetz geändert werden. An die Stelle der Art. 76 ff. mit ihren für den Normalbürger kaum nachvollziehbaren Verfahrensregelungen könnte eine einfache und klare Bestimmung treten, wonach die Gesetze des Bundes von den Vorstandsmitgliedern aller auf dem Deutschen Aktienindex (DAX) gelisteten Unternehmen mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Das bisher u. a. für die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zuständige Bundesverfassungsgericht könnte dann auch gleich abgeschafft werden – immerhin hat es sich in der Vergangenheit erfrecht, bestimmte mit Mehrheit beschlossene Regelungen wie z. B. die Ermächtigung zum „Rettungsabschuss“ von Flugzeugen einfach für unvereinbar mit der Menschenwürdegarantie zu erklären und damit das Ansehen der Bundesregierung zu untergraben. An die Stelle des Bundesverfassungsgericht könnte als Berufungsinstanz dann die Bundesbank treten; diese ist ja schon jetzt von demokratischer Kontrolle befreit (Art. 88 GG) und bei ihren Entscheidungen ausschließlich an den Sachgesetzlichkeiten des Finanzmarktes orientiert.

Die für die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen erforderliche Zweidrittelmehrheit ergibt sich möglicherweise nach den Bundestagswahlen im September durch eine schwarz-gelbe Regierungskoalition. Die Grünen waren schon immer gegen den Staat, könnten also auch für diese Reform zu gewinnen sein. Fraglich ist nur, ob die immer weiter schrumpfende SPD dabei mitspielt. Den kritischen Tönen im laufenden Wahlkampf zum Trotz, hat sie sich immerhin schon während ihrer „rot-grünen“ Regierungszeit durch die Deregulierung des Finanzmarktes bleibende Verdienste für die Freiheit des deutschen Unternehmertums erworben.

Zuerst veröffentlicht in „Ossietzky“ Nr. 18/2009.

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Thema: Staat Demokratie BürgerInnenrechte

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