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Strafrechtliche Risiken für den Hinweisgeber[1]

Dienstag, 21. März 2017 | Autor: hfe | Diese Seite als PDF herunterladen

Ist eine Straftat ein  schützenswertes Geheimnis im Sinne der strafbewehrten Geheimhaltungsvorschriften?[2]

von Reiner Hüper

Die Rechtsprechung befasst sich mit dem Thema Hinweisgeber überwiegend auf dem Gebiet des Privatrechts, insbesondere des Arbeitsrechts und des öffentlichen Rechts. Mit dem Strafrecht wird gedroht. Die finanziellen Folgen für Hinweisgeber können existenzvernichtend sein, wie beispielsweise der Fall der Tierärztin Dr. Marita Herbst[3], Bad Bramstedt, zeigt. Einleiten möchte ich mein kurzes Statement zur strafrechtlichen Seite des Whistleblowing   mit  einem Zitat aus der  Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 1970[4]:

„… Die Aufmerksamkeit und das Verantwortungsbewusstsein des Staatsbürgers, der Missstände nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern sich auch für deren Abstellung einsetzt, ist eine wesentliche Voraussetzung für den Bestand der freiheitlich demokratischen Grundordnung. …“

Was soll der Hinweisgeberschutz aus strafrechtlicher Sicht bezwecken?

Ziel ist die Aufklärung von (Wirtschafts- und Korruptions-)Straftaten, namentlich opferlose Delikte und deren Verhinderung. Diese Straftaten bewegen sich meistens im Dunkelfeld. Sie sind einer  Aufdeckung und Aufklärung kaum zugänglich.

Whistleblowing und der strafbewehrte Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen  stehen in einem rechtlichen Spannungsverhältnis. Die strafrechtliche Seite ist daher zwingend in die Diskussion zum Hinweisgeberschutz einzubeziehen. Die für den Whistleblower bestehenden strafrechtlichen Risiken ergeben sich insbesondere aus den strafbewehrten Geheimnisschutzvorschriften. In Betracht kommen Geheimnisschutzvorschriften aus dem Strafgesetzbuch (§§ 93 ff, 201 ff., 353b[5], 355 StGB) und  Vorschriften aus dem Nebenstrafrecht (§ 17 UWG, § 333 HGB, § 404 AktG, § 85 GmbHG, § 151 GenG, § 315 UmwG, § 19 PublG, § 120 BetrVG und § 138 VAG).

Wie ist das strafrechtliche Risiko eines Hinweisgebers einzuordnen?

Das strafrechtliche Risiko eines Hinweisgebers lässt sich durch die nachstehenden Fragen verdeutlichen:

  • Was ist das Schutzgut?  Wie weit soll ein im Rahmen einer rechtstaatlichen Ordnung mit Mitteln des Strafrechts zu schützendes  Amts-, Geschäfts-  und Betriebsgeheimnisses gehen? Soll und darf eine Straftat Gegenstand eines Amts- bzw. Betriebsgeheimnisses sein?[6]
  • Wo sind die rechtlichen Grenzen? [7]
  • Wie weit sollen gesetzliche Ge- und Verbote den Schutz begrenzen?
  • Was ist Sinn und Zweck der Geheimhaltungsvorschriften?
  • Gehen durch fehlende und unklare bzw. unvollständige Regelungen die strafrechtlichen Risiken zu Lasten des Hinweisgebers, die durch klare gesetzliche Regelungen beseitigt werden könnten?
  • Worin liegt das öffentliche Interesse an einem Whistleblowing?

Hinweisgebersysteme in Bund, Ländern und Unternehmen tragen  diesen Umständen nur ansatzweise Rechnung. Reichen die teilweise unterschiedlich ausgestalteten Systeme aus, einen Hinweisgeber in einem überschaubaren Rahmen vor strafrechtlichen Risiken zu schützen? Umfassende Regelungen zum Hinweisgeberschutz fehlen. Für die öffentliche Verwaltung darf von dem rechtlich vorgeschriebenen Dienstweg nur bei Korruptionsstraftaten abgewichen werden.[8] Die unterschiedlich ausgestalteten Hinweisgebersysteme  der Unternehmen verfolgen in erster Linie deren  Interessen. Die Rechtsprechung behilft sich mit Rechtfertigungsgründen, wonach ein an sich verbotenes Handeln im Einzelfall ausnahmsweise gestattet ist.

Was sollen die strafbewehrten Geheimhaltungsvorschriften schützen?

Nach der Rechtsprechung wird die „Flucht in die Öffentlichkeit“ eines Beamten/Soldaten, der sich an die Öffentlichkeit wendet, als  (schweres) Dienstvergehen gewertet, da die Amtsverschwiegenheit eine rechtsstaatlich einwandfreie, zuverlässige und unparteiische Arbeit und ein einwandfreies Funktionieren des öffentlichen Sektors gewährleiste.

Als Geschäfts- und Betriebsgeheimnis wird grundsätzlich jede im Zusammenhang mit einem Geschäftsbetrieb stehende, nicht offenkundige Tatsache geschützt, die nach dem Willen des Betriebsinhabers aufgrund eines berechtigten wirtschaftlichen Interesses geheim gehalten werden soll.

Mir fällt es schwer, eine Straftat als ein  schützenwertendes Geheimnis im Sinne der strafbewehrten Geheimhaltungsvorschriften zu werten[9]. Soll dem Hinweisgeber, der öffentlich Missstände anprangert, mit dem Damoklesschwert des Strafrechts gedroht werden? Einer strafrechtlichen Lösung bedarf es nicht. Eine Kriminalisierung eines Hinweisgebers ist in diesen Fällen kontraproduktiv. Hält ein  Hinweisgeber den rechtlich zulässigen und zumutbaren Weg nicht ein, sind die im Öffentlichen Recht und Arbeitsrecht bestehenden Ahndungsmöglichkeiten ausreichend. Es bedarf keiner Kriminalisierung. Die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze  einer Rechtfertigung werden der Problemlage nicht gerecht.[10]

Forderung einer bundesrechtlichen Regelung

Gefordert werden sollten bundesrechtliche Regelungen, die dem Gebot der Verhältnismäßigkeit folgen und sich an die eingangs erwähnten Entscheidungen des BVerfG und BGH anlehnen. Sie sollten jedoch über die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte Stufentheorie hinaus gehen und den Anforderengen der internationalen Übereinkommen gerecht werden[11]. Hierbei sollten wir über die Staatsgrenzen hinaus zum United Kingdom schauen. Die dortigen Regelungen des Public Interest Disclosure Act 1998 (PIDA) entsprechen diesen Voraussetzungen. Diese enthalten eine den Verhältnismäßigkeitsgrundätzen entsprechende Stufentheorie und sollten bei unserer Forderung nach einer gesetzlichen Regelung zum Schutz von Hinweisgebern Berücksichtigung finden:

:

„Whistleblowing The disclosure by an employee of information regarding his employer’s business. In certain circumstances (with respect to disclosures of wrongdoing by the employer and provided the disclosure is made in the public interest) employees are given legal protection from retaliation by the employer. The Interest 1998 protects employees from dismissal, or subjection to any detriment, with respect to certain types of disclosures. Contractual provisions attempting to oust the operation of the Act (e.g. the use of ‘gagging clauses’ in an employment contract) are rendered void by the Act. Qualifying disclosures must be made in good faith and must pertain to any of the following:

– criminal offences;

– the breach of legal obligation,[12]

– a miscarriage of justice;

– a danger to the health or safety of any individual

– damage to environment;[13]

– deliberate covering up of information tending to show any of the above matters. Qualifying disclosures may be made to the employer or (by means of internal procedures)to a legal adviser, a minister of the Crown, or a prescribed regulator. If an employee is unable to make disclosures to any of these named persons, or fears retaliation in making such disclosures, then wider disclosure may be made (as long as this is not for personal gain). Wider disclosure could be, for example, to the police, the media, a Member of Parliament, or a non-prescribed regulator. Workers and employees who are dismissed or subjected to a detriment as a result of making a qualifying disclosure to an appropriate recipient can, within three months of such action, make a complaint to an employment tribunal.
*******
Der Autor Reiner Hüper war im Berufsleben zuletzt als Oberstaatsanwalt Abteilungsleiter der Korruptionsabteilung in Kiel. Seit einigen Jahren ist er Leiter der AG Strafrecht bei Transparency International Deutschland e. V. . Der Text als Niederschrift eines Impulsreferats wurde im Nachhinein mit Fußnoten versehen. Die Quellangaben können unvollständig sein. Der Text stellt keine wissenschaftliche Arbeit dar, er soll als Diskussionsgrundlage dienen.


[1] Diskussionsgrundlage Erfurt 3.3.2017 zum Thema Hinweisgeberschutz  – Impuls und Diskussion

[2] Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH 20, 342ff).  und – BVerfGE  (Band 28, 191ff,) 205 darf sich ein Bediensteter des öffentlichen Dienstes erst dann ohne strafrechtlich verfolgt werden zu können an die Öffentlichkeit wenden,  wenn die Behörde schwer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen hat,  also der Verstoß die gesamte Behördentätigkeit kennzeichnet und elementare  Rechtsprinzipien des freiheitlichen demokratischen Staates verletzt sind. Die vom BGH  aufgestellten Grundsätze, der in seiner Begründung auf BVerfGE 28, 191 verweist, werden als  „Stufentheorie“ des BGH bezeichnet,  welche  zum Gang in die Öffentlichkeit berechtigt. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit ist  je nach Einstufung der Schwere des Behördenmissstandes entweder sofort oder erst nach Ausschöpfen der internen Abhilfemöglichkeiten für Staats- und Dienstgeheimnisse gerechtfertigt.

[3] Siehe hierzu Der Fall Dr. Margrit HERBST – eine Chronologie –
www. anstageslicht.de

[4] BVerfGE aaO S.202.

[5] Siehe hierzu im Einzelnen: Deutscher Bundestag  – Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 – 3000 – 158/16

„…Die Weitergabe von besonders geschützten Informationen und Geheimnissen kann zu strafrechtlichen Konsequenzen führen. Ob ein bestimmtes Verhalten in diesem Zusammenhang strafrechtlich geahndet werden kann, bestimmt sich nach den §§ 353b und 203 des Strafgesetzbuches (StGB) …

Strafrechtliche Konsequenzen bei der Weitergabe von Informationen können sich insbesondere aus § 353b StGB ergeben. Dieser sieht bei der Verletzung eines Geheimnisses in Abs. 1 einen Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe vor, während die Verletzung einer besonderen Geheimhaltungspflicht nach Abs. 2 einen Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe eröffnet. …“

[6] Die oben aufgeführten Urteile des BGH und des BVerfG bieten die Möglichkeit den Schutz von Hinweisgebern rechtlich neu zu gestalten. Die obersten Gerichte haben einen Weg aufgezeigt, den Strafanspruch des Staates, hinsichtlich der  seit 1936 strafbewehrten Verletzung der  Verschwiegenheitspflicht zu begrenzen. Es liegt nahe, dass die Einfügung der Norm in das Strafgesetzbuch dem damaligen Zeitgeist entsprach.

[7] Das Bundesverfassungsgericht hat zum Umfang des Geschäfts  und Betriebsgeheimnis folgendes ausgeführt (Beschluss vom 14. März 2006 1BvR 2087/03):  „ … Als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse umfassen im Wesentlichen technisches Wissen im weitesten Sinne; Geschäftsgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen. Zu derartigen Geheimnissen werden etwa Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen, Patentanmeldungen und sonstige Entwicklungs- und Forschungsprojekte gezählt, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betriebs maßgeblich bestimmt werden können …“
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse definiert das  Bundesverwaltungsgericht wie folgt: „…  Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Unternehmens stehende Umstände oder Vorgänge, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt, für Außenstehende aber wissenswert sind, die nach dem bekundeten Willen des Betriebs- oder Geschäftsinhabers geheim zu halten sind und deren Kenntnis durch Außenstehende dem Geheimnisschutzträger zu einem Nachteil gereichen kann. Allgemein bekannte Umstände und Vorgänge sind auch dann keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, wenn der Inhaber sie als solche bezeichnet …“

[8] So ist nach den beamtenrechtlichen Regelungen des Bundes und der Länder die Mitteilung des Verdachts einer Korruptionsstraftat nach den §§ 331 bis 337 StGB gegenüber der zuständigen obersten Dienstbehörde und den Strafverfolgungsbehörden zulässig. In Schleswig – Holstein kann sich ein Hinweisgeber auch an die Kontaktstelle des Landes zur Bekämpfung der Korruption wenden.

[9] Die verfassungsrechtliche Rechtsprechung (s.o. FN 5) steht dieser Auffassung nicht entgegen, die als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse  alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge definiert. Zu beachten ist, dass  die Geheimhaltungsvorschriften unter dem Vorbehalt rechtsstaatlicher Grundsätze stehen. Diese sind in einem Rechtstaat zwingend zu beachten. In dem Beschluss des BVerfG   vom  2.7.2002 (1 BvR 2049/00) heißt es hierzu u.a. :

„… Aber selbst bei dem vom Landesarbeitsgericht zu Grunde gelegten Sachverhalt, wonach der Beschwerdeführer “freiwillig” zur Staatsanwaltschaft gegangen sei, dort Aussagen gemacht und aufgrund eigenen Antriebs Unterlagen übergeben habe, hätte es diesem verfassungsrechtlichen Aspekt Beachtung schenken müssen. Auch die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Strafverfahren kann – soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden – im Regelfall aus rechtsstaatlichen Gründen nicht dazu führen, daraus einen Grund für eine fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses abzuleiten. Das Landesarbeitsgericht spricht pauschal von “haltlosen Erklärungen” des Beschwerdeführers, ohne diese näher zu benennen und die auch aufgrund der Beweisaufnahme nicht nahe liegend sind. Ein derart substanzloser Vorwurf kann nicht als Grund für zivilrechtliche Nachteile dienen, die im Hinblick auf bestehende Pflichten und Rechte des Bürgers im Rahmen der Strafverfolgung grundsätzlich unzulässig sind (vgl. BVerfGE 74, 257 <261 ff.>). Eine zivilrechtliche Entscheidung, die dieses verkennt oder missachtet, verletzt den betroffenen Bürger in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip…“

[10] Es handelt sich hierbei um eine Entscheidung im Einzelfall, die ein tatbestandliches Handeln ausnahmsweise rechtfertigt. Siehe hierzu auch Richard Schmid, Juristenzeitung 1970 S. 886, der die  Stufentheorie des BGH ablehnt, weil sie das Informationsinteresse der Öffentlichkeit  auf der 2. Stufe missachtet (stillschweigende behördeninterne Abhilfe)

[11] S. z.B. Art. 22 des Straßburger Strafrechtsübereinkommen über Korruption  vom 27.1.1999  bzw. Art.9 des Straßburger Zivilrechtsübereinkommen über Korruption  vom  4.11.1999

[12] Auch in diesen Fällen sollte der strafrechtliche Schutz entfallen. Rechtsgeschäfte, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen (§ 134 BGB) oder sittenwidrig sind (§ 138 BGB) werden durch die Rechtsordnung nicht geschützt.

[13] Diese Fälle sind nach den Bestimmungen im deutschen Umweltrecht kein Gegenstand eines Amts- und Betriebsgeheimnisses. So sehen  §§ 53 ff  BImSchG, §§ 21 a ff WHG, §§ 54 ff  KrW-/AbfG fast gleichlautende Anzeigerechte und Anzeigepflichtenden des Unternehmers vor. Gegenstand der Anzeigepflicht sind Hinweise auf Mängel und Störfälle innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen. Zum Benachteiligungsverbot der als Beauftragte bestellte Arbeitnehmer siehe beispielsweise. §§ 58, 58d BImSchG.

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Thema: Allgemein

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